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Anna Politkowskaja auf einem Archivbild aus dem Jahr 2005.

Foto: APA/dpa/Wolfgang Langenstrassen
Moskau - Die russische Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja ist in Moskau einem Auftragsmord zum Opfer gefallen. Eine Nachbarin habe sie am Samstagnachmittag neben dem Lift ihres Wohnhauses im Zentrum erschossen aufgefunden, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Die Polizei stellte eine Pistole vom Typ PM und vier Geschoßhülsen sicher.

In der russischen Öffentlichkeit löste der Mord an der prominenten Publizistin tiefe Bestürzung aus. Die 1958 geborene Politkowskaja, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, hatte sich durch ihre kritischen Reportagen über den Tschetschenien-Krieg weltweit einen Namen gemacht. Die Journalistin schrieb vor allem für die kleine regierungskritische Zeitung "Nowaja Gazeta" in Moskau. Für ihre Artikel über den Krieg in Tschetschenien für die Zeitung "Nowaja Gazeta" und ihre Bücher wurde die Journalistin und Schriftstellerin mehrmals ausgezeichnet. Im Jänner 2005 erhielt sie etwa den Olof-Palme-Preis.

Raubmord ausgeschlossen

Als Mordmotiv vermuteten Ermittler Politkowskajas "öffentliche Aufgabe" als Journalistin, sagte der stellvertretende Moskauer Staatsanwalt Wjatscheslaw Rossinski. Ein Raubmord werde ausgeschlossen. Den Angaben nach war Politkowskaja gerade vom Einkaufen zurückgekehrt. "Sie parkte ihr Auto vor der Haustür, nahm einige Taschen und ging in den Hausflur, wo ihr Mörder auf sie wartete", sagte ein Ermittler. Die Polizei fahndete nach einem jungen Mann, den eine Kamera über der Haustür aufgenommen hatte.

"Das ist ein Stich ins Herz des russischen Journalismus", sagte der Sekretär des Journalistenverbandes, Igor Jakowenko. Der Oppositionsabgeordnete Wladimir Ryschkow sprach von einem "zu 100 Prozent politischen Mord". Auch kremltreue Politiker würdigten die Reporterin trotz aller Gegnerschaft. Politkowskaja sei für viele unbequem gewesen, "aber sie war eine professionelle Journalistin", erklärte die stellvertretende Parlamentsvorsitzende Ljubow Sliska. "Jemand wollte eine ehrliche und unabhängige Journalistin zum Schweigen bringen", sagte der Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial, Oleg Orlow.

Reportagen über den Tschetschenien-Krieg

Politkowskaja hatte sich durch ihre Reportagen bei den russischen Sicherheitskräften wie auch bei der moskautreuen Tschetschenen- Führung Feinde gemacht. Als sie 2004 von Moskau in den Nordkaukasus zu der Geiselnahme von Beslan fliegen wollte, erlitt sie eine rätselhafte Vergiftung, für die sie den russischen Geheimdienst verantwortlich machte. Politkowskaja sei in der Vergangenheit häufig bedroht worden, sagte Orlow. Er wisse aber nichts über Drohungen in jüngster Zeit.

Im Herbst 2001 suchte sie wegen der Drohungen Zuflucht in Wien, wo sie als Stipendiatin am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien ein Buch über das Verhältnis zwischen Tschetschenien und Russland nach dem Krieg schrieb. "Mein Chefredakteur hat mir geraten, aus Russland zu fliehen", berichtet sie damals im Gespräch mit der Austria Presse Agentur.

Für Aufsehen hatte die Tschetschenien-Expertin auch gesorgt, als sie vor vier Jahren nach dem Geiseldrama in einem Moskauer Musical-Theater heftige Kritik am Vorgehen der russischen Behörden übte. Das Leben aller Geiseln in dem Moskau Theater hätte gerettet werden können, wenn die russische Führung weiterhin auf Verhandlungen mit den tschetschenischen Rebellen beharrt hätte, statt das Gebäude erstürmen zu lassen, sagte sie damals im STANDARD-Interview.

Die Geiselnehmer hätten vom russischen Präsidenten lediglich eine mündliche Zusage verlangt, den Tschetschenien-Krieg zu beenden. "Putin sollte sich irgendwie zum Thema Beendigung des Krieges äußern", erklärte Politkowskaja, "Kein schriftliches Dokument, keine Verordnung war gefordert, nur eine mündliche Aussage." Mithilfe eines internationalen Vermittlers sollte außerdem bestätigt werden, dass am nächsten Tag der Abzug der Truppen aus Tschetschenien beginnen würde.

Tschetschenische Rebellen hatten das Theater am 23. Oktober 2002 gestürmt und rund 800 Zuschauer und Schauspieler als Geiseln genommen. Russische Spezialeinheiten beendeten das Geiseldrama mit einem Gaseinsatz nach drei Tagen am 26. Oktober. 129 Geiseln wurden dabei getötet, darunter eine aus Bulgarien stammende Österreicherin.

In Russland sind seit 1992 mehrere prominente Journalisten ermordet worden. 1995 fiel der Direktor des landesweiten Fernsehkanals ORT, Wladislaw Listjew, einem Auftragsmord zum Opfer. 2004 wurde der Amerikaner Paul Klebnikow in Moskau erschossen, Chefredakteur der russischen Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift "Forbes". (APA/dpa)