Zwischen "Warten wir ab" und "Schaun wir einmal": Informationsoffensive im ORF-Aquarium.

Foto: STANDARD/Urban
Nicht erst seit einer Woche sind die Wahlsendungen des ORF, wie sie eben sind; es fällt freilich besonders auf, wenn man den Wahltag hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen verbringt, ohne Internetanschluss, ohne Teletext – kurzum: angewiesen auf ORF 2.

Informationswert: null

Beobachtungen des leidgeprüften Zwergengastes: In grauer TV-Vorzeit kamen die Einstiege aus den Bundesländern ("Herr Landeshauptmann, was sagen Sie zum Abschneiden Ihrer Partei?") erst, wenn das dortige Endergebnis feststand. Heute überlässt man die Sendungsdramaturgie nicht etwa irgendwelchen Zufällen des Auszählungtempos – die Bundesländerstudios sind dran, wann sie eben dran sind. Leider beträgt der Auszählungsgrad dann gerade 66,5 oder 74,3 Prozent, und der Herr Landeshauptmann sagt, noch dazu mit Recht: "Warten wir einmal das Endergebnis ab!" Informationswert: null; aber die Sendezeit vergeht natürlich auch so.

"Schauen wir einmal"

Die Bundesländerergebnisse werden überhaupt nicht mehr mitgeteilt – einzig aus Vorarlberg durfte man ein definitives Resultat erfahren, aus den läppischen acht anderen Bundesländern gab es nie mehr als jene eine Hochrechnung, die der jeweilige Herr Landeshauptmann (und die eine Hauptfrau) dann eben mit "Schauen wir einmal" kommentierten. Dass das BZÖ in Kärnten 25 Prozent erreicht hat, entnahm ich am nächsten Tag dem STANDARD; dem ORF war diese Lappalie keine Meldung mehr wert, und dass die Kärnten-Hochrechnung auf immerhin 23 Prozent gekommen war, hatte für den Wahlabend zu genügen. Kann nicht vielleicht der neue Infodirektor die hohe Politik bewegen, die Wahllokale überall so früh zu schließen wie im Ländle? Fußballspiele richten sich schließlich auch längst nach der Primetime ...

Apropos BZÖ

Apropos Kärnten, apropos BZÖ: Die entscheidende Frage, ob die Zweit-Freiheitlichen ein Grundmandat in Kärnten-Ost erreichen würden, geisterte zunächst auch durch die ORF-Wahlsendung – nur wie die Sache ausging, damit wollten die TV-Journalisten ihre Seher dann doch nicht überfordern. Dass Haider am Grundmandat gescheitert war, konnte man einzig aus einer Bemerkung des Politologen Peter Filzmaier im Interview erahnen; gemeldet wurde es nie, ganz zu schweigen von einem kompletten Resultat des umkämpften Wahlkreises.

Weiters nicht zu sehen war die Stimmenverteilung auch nur einer einzigen Landeshauptstadt oder sonst ein signifikantes, interessantes, ungewöhnliches Gemeindeergebnis – früher einmal lauter Selbstverständlichkeiten.

Verluderung der Berichterstattung

Und bis in die kleinsten Details geht die Verluderung der Berichterstattung: Als diese Sendungen noch Josef Broukal moderierte (ihr glaubt es nicht, liebe Kinder, aber damals, als Fernsehjournalist, war der Mann wirklich gut), ließ er bei den Hochrechnungen die Balken für jede Partei einzeln in die Höhe wachsen, exakt gemäß seinem Sprechtempo; Ingrid Thurnher hingegen blendet alle auf einmal ein, mit dem doppelt negativen Ergebnis, dass sich die Zahlen einerseits schlechter einprägen, weil man sie viel schneller erfasst, und dass andererseits Thurnher, die dieselben Zahlen ja trotzdem referiert, damit nur mehr an den Nerven des Publikums zerrt, denn lesen kann ich schließlich selber.

Wahlkarten "morgen" oder "in einer Woche"

Dass das Endergebnis erst nach Auszählung der Wahlkarten feststehen würde, war bald klar. Nur wann diese Auszählung stattfinden könnte, unterlag auf ORF 2 nobler Diskretion. Die Rede war abwechselnd von "morgen" oder "in einer Woche" – jede Aufklärung durch die Moderatoren blieb aus.

Ist keinem aufgefallen, dass da etwas nicht ganz Unwesentliches fehlte? War auf die Schnelligkeit niemand im Stande, es zu recherchieren? Oder herrschte einfach Angst, es könnte zum Wegzappen verleiten, wenn der "Wahlkrimi" mit trockenen Sachinformationen gestört wird? Egal wie: mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun.

"Interview" mit Hans-Peter Martin

Tupfen auf dem i: die "Interviews" von Lou Lorenz mit Hans-Peter Martin. Als einen Grund für sein Scheitern führte Martin seine geringe Präsenz im ORF an – oder wollte es zumindest. Frau Lorenz wusste das zu verhindern: "Wir sprechen hier nicht über den ORF", und zog ihm kurzerhand das Mikrofon unter der Nase weg: bei drei Intervieweinstiegen im Laufe des Abends, jedes Mal dasselbe.

Zutreffende Analyse und zulässige Kritik

Man muss beileibe kein Martin-Fan sein, um das für ungeheuerlich zu halten; Martins ORF-Argument war zutreffende Analyse und zulässige Kritik zugleich – der ORF hat ihn im Wahlkampf krass anders behandelt als das (bis dahin ebenfalls nicht demokratisch legitimierte) BZÖ, und darüber wird man zumindest noch reden dürfen.

Putin'schen Staatsfunk

Was Lou Lorenz und Gerald Groß (der sie aus dem Studio mit hämischen Kommentaren unterstützte) sich da am Wahlabend geleistet haben, das qualifiziert sie für den Putin'schen Staatsfunk – aber nicht für eine TV-Anstalt eines demokratischen Landes. (Übrigens kein Einzelfall: Man muss nämlich – das schon gar nicht – auch kein Westenthaler-Fan sein, um es ebenfalls als Skandal anzusehen, wie Gabi Waldner ihn im "Sommergespräch" am Reden über den ORF hindern wollte.)

Kurz und schlecht: Derlei Wahlberichterstattung ist für die Fische; aber dass Fische nicht wahlberechtigt sind, muss sogar im ORF bekannt sein, und Wähler haben von Sendungen dieser Qualität gar nichts. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2006)