Der Besuch von Kanzlerin Merkel in der Türkei steht unter keinem guten Stern. Das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei ist nach Eröffnung der Beitrittsverhandlungen vor einem Jahr an einem Tiefpunkt angekommen und Merkel, vor allem aber ihre Partei, ist aus türkischer Sicht dabei eher ein Teil des Problems als Teil einer Lösung.

Während ihrer ersten Pressekonferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan am Donnerstag beschränkten sich beide auf freundliche Belanglosigkeiten und Fragen der Integration türkischer Migranten in Deutschland.

Noch bevor Merkel abreiste, hatten ihr die bayrische CSU und der Ministerpräsident des größten Landes Nordrhein- Westfalen, Jürgen Rüttgers mit auf den Weg gegeben, die Türkei gehöre nicht in die EU. Merkel hat sich dies zwar nicht explizit zu eigen gemacht sondern wiederholt stattdessen, dass die deutsche Regierung sich an die Verträge halten und die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU „fair begleiten“ werde, doch der Kontrast zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder könnte kaum größer sein.

Kein Rabatt

Wo Schröder und Ex-Außenminister Joschka Fischer die EU-Türkei Beziehungen aktiv unterstützt haben, kommt von Merkel entweder vornehme Zurückhaltung oder aber die Mahnung, die Türkei solle nun endlich ihre Versprechen einhalten und die griechisch-zypriotische Republik völkerrechtlich anerkennen.

„In dieser Frage“, so Merkel noch vor ihrem Abflug, „wird es für die Türkei keinen Rabatt geben“. Das betonte sie auch auf Nachfrage noch einmal in Ankara. Was sich so logisch anhört, ist aber auch nur die halbe Wahrheit, wie in der Türkei bitter vermerkt wird. An der Zypern-Misere, hatte Fischer kürzlich in der Süddeutsche Zeitung geschrieben, sei ja nun wahrlich nicht die Türkei allein schuld. „Diese Herangehensweise sei kontraproduktiv und in hohem Maße ungerecht“.

Deshalb besteht in der Türkei auch der Verdacht, das massive Drängen auf eine Anerkennung Zyperns sei letztlich nur der verdeckte Versuch, die von der CDU/CSU so vehement kritisierten EU-Türkei Verhandlungen über den Zypern-Umweg zu beenden.

Warum, so wird gefragt, hat die EU ihrerseits ihre Versprechen, den Wirtschaftsboykott gegen die türkischen Zyprioten zu beenden, nicht eingehalten? Die Enttäuschung ist mittlerweile so groß, dass Anti-EU-Stimmung vorherrscht.

Angeheizt wird diese Stimmung von den Gegnern der regierenden moderat-islamischen AKP. Auch die wachsende Islamphobie im Westen und die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern sind Steilvorlagen für die Nationalisten, die Erdogan damit in Bedrängnis bringen. Gerade die Islam-Debatten wecken auch in Erdogans eigener Partei wachsende Zweifel, ob die Türkei wirklich Mitglied „im Christenclub“ werden soll. Merkels Visite wird diese Zweifel eher verstärken als zerstreuen. Zur Vorbereitung ihres Besuchs war CDU-Generalsekretär Roland Pofalla vor in der Türkei um dabei lediglich einer Frage nachzugehen: wie geht es den Christen im Land.

Merkel wird an dieser Stoßrichtung festhalten: nach dem obligatorischen Treffen mit Wirtschaftsführern wird ihr wichtigster Gesprächspartner der orthodoxe Patriarch Batholomäus sein. Ihn trifft sie Ihn trifft sie gleich zweimal. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 6.10.2006)