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Foto: APA/ROLAND SCHLAGER
Bildungsministerin Elisabeth Gehrer zieht sich aus der Politik zurück. In einem Interview mit den "Vorarlberg Nachrichten" erklärte die scheidende Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, "keine Sesselkleberin" zu sein. "Jetzt sollen neue, junge Kräfte ans Werk. Niemand hat mich dazu gedrängt, es ist meine persönliche Entscheidung." Bis zur Bildung einer neuen Regierung wird sie, dem Auftrag des Herrn Bundespräsidenten entsprechend, die Amtsgeschäfte als Bildungsministerin weiterführen.

Im VN-Interview erklärt die ÖVP-Politikerin, "ich nehme an, dass eine Große Koalition kommt, von Neuwahlen halte ich nichts. Wir entziehen uns nicht der Verantwortung und erwarten von Herrn Gusenbauer Vorschläge. Er muss Gräben zuschütten. Bis gestern hat er Schüssel nicht einmal angerufen. Ich hoffe, dass die großen Projekte realisiert werden. Das sind Sicherung des sozialen Netzes, Wirtschaftsaufschwung und keine Neuverschuldung im Budget."

Hauptangriffs-Flanke der Opposition

Nicht erst im Wahlkampf, sondern schon in den Monaten und Jahren davor waren Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und ihr Ressort Hauptangriffs-Flanken der Opposition. Das Bollwerk Gehrer schien - mit voller Rückendeckung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel - die Angriffe unbeschadet zu überstehen. Doch die Opposition hat offensichtlich mit dem Thema Bildung beim Wähler auf die richtige Munition gesetzt und die "eiserne Liesl" angesichts rasant sinkender Popularitätswerte zu einer Schwachstelle der Regierung gemacht. Jetzt hat die 64-Jährige nach mehr als zehn Jahren im Amt ihren Rückzug aus der Politik bekannt gegeben.

Gehrer war bei der Nationalratswahl noch Spitzenkandidatin der ÖVP in Vorarlberg. "Am 30. Oktober wird in der konstituierenden Sitzung des Nationalrats jemand anderer aus Vorarlberg angelobt", erklärte sie jetzt vier Tage nach der Wahl. Zuletzt war sie noch als Kandidatin für das Amt der Zweiten Nationalratspräsidentin im Gespräch.

Popularitätswerte im Keller

Lange Jahre galt Gehrer als resolute Frau der klaren Worte, die auch medial geschätzt wurde. Am Beginn der Legislaturperiode lag ihr Wert im APA/OGM-Vertrauensindex im März 2003 noch bei plus 30 Prozent. Doch Saliera-Diebstahl, PISA-Studie und EuGH-Urteil über den freien Hochschulzugang ließen ihre Popularitätswerte in den Keller rauschen, mit rund minus 30 Prozent rangiert sie nur knapp vor Politikern wie Heinz-Christian Strache (F) oder Peter Westenthaler (B). Die ÖVP irritierte das nicht sehr, Gehrer kandidierte neuerlich für die Nationalratswahl.

Lehrerin

Am 11. Mai 1942 in Wien geboren, übersiedelte Gehrer 1949 mit ihrer Familie nach Innsbruck. Nach Abschluss des Gymnasiums und der Lehrerbildungsanstalt in der Tiroler Landeshauptstadt unterrichtete sie von 1961 bis 1964 in Hart im Zillertal. Nach ihrer Heirat 1964 ging Gehrer nach Bregenz und unterrichtete zwei Jahre in Lochau.

Ihre politische Laufbahn begann Gehrer 1980 in Bregenz als Stadträtin für Musik und regionale Zusammenarbeit, 1981 übernahm sie den Vorsitz der Regionalplanungsgemeinschaft Bodensee. 1983 wurde Gehrer Ortsobfrau der Frauenbewegung in Bregenz, 1984 zog sie bereits in den Landtag ein, zu dessen Vizepräsidentin sie 1989 gewählt wurde. 1990 wurde Gehrer als erste Frau Mitglied der Vorarlberger Landesregierung, in der sie für die Bereiche Schule, Weiterbildung, Wissenschaft, Frauen, Jugend, Familie, Gemeindeentwicklung, Energiesparen und Entwicklungshilfe zuständig war. Gleichzeitig bekleidete sie die Funktion der Amtsführenden Präsidentin des Landesschulrates.

Aufstieg 1995

Schüssel holte Gehrer im Mai 1995 nach dem Ausscheiden von Erhard Busek als Unterrichtsminister in sein Regierungsteam. Im Herbst des selben Jahres wurde sie zur stellvertretenden Obfrau des ÖAAB gewählt. 1999 avancierte Gehrer außerdem zur stellvertretenden ÖVP-Chefin. Mit dem Amtsantritt der ÖVP-FPÖ-Koalition im Februar 2000 bekam sie auch die Wissenschafts-Agenden übertragen und führte seither das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Gehrer gilt als enge Vertraute des Bundeskanzlers, dem sie absolut loyal gegenübersteht.

In die mehr als zehnjährige Ministertätigkeit Gehrers fielen unter anderem die Ausweitung der Schulautonomie, die Einführung eines Frühwarnsystems für schlechte Schülerleistungen sowie des Englisch-Unterrichts ab der 1. Klasse Volksschule, neue Dienstrechte für Pflichtschul- und Uni-Lehrer, die Überführung der Bundesmuseen in die Vollrechtsfähigkeit, das Rückgabegesetz für die Restitution von Raubkunst, die Einführung von Studiengebühren, das neue Universitäts-Gesetz 2002, mit dem die Hochschulen aus der Bundesverwaltung ausgegliedert wurden, die Streichung von Schulstunden, die 2003 zu einem Streik der AHS-Lehrer führte, der Fall der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze sowie die Umwandlung der Pädagogischen Akademien in Hochschulen.

PISA-Studie 2003

Weitere markante Ereignisse in Gehrers Amtszeit: Das schlechte Abschneiden Österreichs bei der PISA-Studie 2003, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Hochschulzugang für EU-Studenten in Österreich mitsamt der Einführung von Zugangsbeschränkungen für acht Fächer an den Universitäten im Juli des Vorjahrs, der Diebstahl der "Saliera" aus dem Kunsthistorischen Museum im Mai 2003 und deren Wiederfinden sowie das mehrjährige Verfahren um die Klimt-Bilder, das Österreich heuer verlor. (red, APA)