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Preistraeger Oskar Pastior bei der Erich Fried Preisverleihung 2002 in Wien

FOTO: APA / ROBERT NEWALD

Frankfurt - Die Zuerkennung des Büchner-Preises an den aus Siebenbürgen gebürtigen Wortakrobaten Oskar Pastior glaubten große Teile des deutschen Feuilletons noch, als bloße Kompensationsleistung abtun zu müssen. Nun, fünf Monate nach der Widmung des renommiertesten deutschsprachigen Literaturpreises an einen bescheidenen, freundlichen Spracherfinder ist Pastior 78-jährig in Frankfurt überraschend gestorben. Er hielt sich wegen der Buchmesse in der Main-Metropole auf: Er hätte zusammen mit Herta Müller einen Text über die Deportation von Rumäniendeutschen in die Ukraine lesen sollen.

Pastiors Literatur, seit des Autors Übersiedlung nach Berlin 1969 in eine üppige Stromlandschaft von Anagrammen, Palindromen, Sestinen, Vokalisen, "Wechselbälgern", "Gimpelstiften" und "Hebewerken" ausgegossen, nahm noch einmal den Furor der sprachtechnischen Avantgarde-Bewegungen auf. Sie dämpfte aber zugleich das Empörungsfeuer der Sprachmaschinisten und ersetzte Gesellschaftsstürmerei durch den Geist der Verbalerotomanie.

Pastior hebelte die überkommenen Formen des prosaischen Wortgebrauchs aus. Er hatte die Lektion der sprachlichen Bevormundung durch den Sozialismus so weit verinnerlicht, dass er das Feld der Notwendigkeit (sprich: die Autorität der Grammatik) mit bezaubernder Leichtigkeit hinüber in die Sphäre des doch stets verbindlich bleibenden Spiels hob.

In Pastiors paradoxen, stets überraschenden Wort-, Vers- und Strophenerfindungen konnte der Leser noch einmal den Zauber eines Welt-Beginnens erleben: "an den phonemen von yemen/ die an jenen kinnen terzinen/ bilden und schimären hin-/ latrinen oder binnenthemen/ denen sie abhanden schwimmen/ indien bis anden abgewinnen ...": Um solche "Landgewinnungen" im Sprachlichen drehte sich Pastiors kaum überschaubares, nunmehr bei Hanser allmählich gesamthaft veröffentlichtes Werk, das Sinnsuchern sehr elegant die lange Nase drehte, Literatur-Ideologen aller Couleurs aber zur Verzweiflung treiben musste.

In Rumänien war der Poet unter anderem "Kistennagler" gewesen: Etwas von der improvisatorischen Leichtigkeit ging auch in eine Poesie ein, deren schönste Leistungen in der "Emanzipation" der Lautlichkeit gipfelten - und das Wissen um jene "Fraktalität" erahnen ließen, die noch in den kleinsten Sinneinheiten Anlassfälle für Weltneuschöpfungen sah: "Vom Sichersten ins Tausendste". (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.10.2006)