Semprún: Dass es keine Art Nazimachtergreifung geben wird, das kann man sagen. Aber nie wieder? Es gibt da einen wichtigen slowenisch-italienischen Maler - Zoran Music -, der in Dachau inhaftiert war. Er hat dort Zeichnungen gemacht und sie in der Bibliothek versteckt, hinter 100 Exemplaren von "Mein Kampf". Weil natürlich kein Häftling "Mein Kampf" lesen wollte, waren sie dort sicher. Viel später hat er in Paris die Zeichnungen zu Ölbildern ausgearbeitet, der Titel der Ausstellung war "Nous ne sommes pas les dernières - Wir sind nicht die Letzten". Er dachte an Bosnien. Natürlich waren die ethnischen Säuberungen der Serben etwas anderes, hatten aber mit der Vergangenheit zu tun. Doch eine Nazimachtergreifung kann nicht wieder passieren. Europa ist dagegen erschaffen worden und kann das vermeiden.
Semprún: Wenn man weiß, warum und wie und wo das geschah, hat man heute eine politische Waffe dagegen. In Frankreich zum Beispiel, wenn man da die Reden von Le Pen hört und man die Reden Hitlers oder von französischen Faschisten der Vichy-Zeit kennt, ist das nicht neu, ist das genau dasselbe.
Semprún: Eine Zeit des Vergessens war nötig, um zum Bürgerkrieg Distanz zu bekommen. Er spaltete die Familien: Der war mit den Franquisten, der mit den Republikanern. Für mich war die Zeit des Vergessens zu lange. Jetzt ist es nicht mehr gefährlich für die Demokratie, jetzt kann man über alles sprechen.
Semprún: In Spanien sind im selben Jahr ziemlich viele Bücher dazu erschienen, etwa Javier Cercas "Soldados de Salamina" (auf Deutsch als "Soldaten von Salamis" publiziert). Spontan und nicht geplant haben wir den Bürgerkrieg und die Folgen literarisch verarbeitet. Das ist ein Zeichen, dass im heutigen Spanien dieses Gedächtnis nötig ist.
Semprún: Meine Geschichte läuft bis in das Jahr 1956, weil damals in Spanien eine neue Generation von Arbeitern, Studenten und Politikern erschien. Manche der bei Studentendemonstrationen Verhafteten kamen aus "guten Familien" des Franquisten-Regimes. Im ersten Manifest der Studenten hieß es "Nosotros, hijos de los vencedores y de los vencidos - Wir, die Söhne der Sieger und der Besiegten".
Semprún: Mit der Eta haben alle Regierungen der Demokratie verhandelt, aber bis jetzt war alles geheim. Weil die Demokratie nun stark genug ist, werden die Abgeordneten zum ersten Mal über die Verhandlungen - falls sie stattfinden - informiert werden.
Semprún: Die jungen Leute erleben Europa in der Praxis, mit Reisen ohne Geldwechseln, mit EU-Studienprogrammen. Was es noch nicht genug gibt, ist eine europäische kulturelle und politische Vision. Das ist die Schuld der politischen Klasse. Nehmen Sie die Diskussion um die EU-Verfassung in Frankreich. Die Mehrheit der Neinsager auf der Linken ist nicht gegen Europa. Aber aus innenpolitischen Gründen scheint es ihnen heute wichtiger zu sein, Nein zu Chirac zu sagen.
Semprún: Ein Problem der Linken und der Alternativen ist es, dass es da noch so archaische leninistische Positionen gegen den Markt gibt. Denen sage ich: Im 20. Jahrhundert haben wir die Erfahrung der Revolution der Bolschewiki gemacht, die wie keine andere danach gegen die Marktwirtschaft kämpfte. Und was war die Konsequenz? Ich habe kürzlich in Frankreich ein 1957 in Ostberlin erschienenes Buch gegen das "Märchen von der Sozialen Marktwirtschaft" hergezeigt. Es gibt heute kein Argument dagegen, das nicht dort schon drin war. Die Linke muss über die Marktökonomie noch weiterdiskutieren. Spaniens Sozialdemokratie hatte die Erfahrung des Franquismus, der ökonomisch ein Staatskapitalismus war. Da musste die Linke "liberalisieren". Als ich spanischer Kulturminister wurde, habe ich entdeckt, dass ich Produzent der ganzen Filmindustrie war - alles wurde mit dem Geld des Staates produziert, zum Teil Filme, die nie in den Kinos gezeigt wurden. Das war natürlich unmöglich, wir mussten der Filmindustrie etwas Markt einflössen.