Crashguard funktioniert wie eine automatische Notbremse. Wenn Gefahr besteht, dass Maschinen kollidieren, soll die Software den Unfall verhindern.

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Weil sich Werkzeugmaschinen auch selbst zerstören können, haben Experten des Softwareparks Hagenberg eine kluge Software entwickelt: Die integrierte Steuerung Crashguard soll teure Kollisionen im Innenleben der komplexen Anlagen verhindern.


Was haben mächtige Kurbelwellen für schwere, sehr langsam laufende Schiffsmotoren mit den schlanken Kurbelwellen für leichte, sehr schnell laufende Formel-1-Motoren gemeinsam? Fallweise sind sie beide auf einer Maschine der WFL Millturn Technologies gedreht, gebohrt und gefräst worden. Das oberösterreichische Unternehmen gehört zu den weltweit führenden Anbietern von multifunktionalen Werkzeugmaschinen, die schon einmal die Größe eines Zugwagons erreichen und bis zu sechs Meter lange und zehn Tonnen schwere Werkstücke bearbeiten: Ein komplexer, vom Computer gesteuerter Vorgang, der mit hoher Präzision durchgeführt wird. Denn trotz der teilweise gewaltigen Dimensionen liegen die zulässigen Fertigungstoleranzen im Hunderstel-Millimeter-Bereich.

Entsprechend teuer sind die Hightech-Maschinen: "Die Preise beginnen bei rund 500.000 Euro und können je nach Ausführung bis zu zwei Millionen betragen", nennt Christoph Schinerl, Leiter der Steuerungstechnik bei WFL, die Preisspanne. Heikles Gerät also, das bei Fehlern im Betrieb nicht nur die teilweise schon bearbeiteten Werkstücke "mit dem Wert eines Mittelklasse-Autos nachhaltig beschädigen kann", so Schinerl, sondern auch sich selbst. "Jede Werkzeugmaschine kann sich selbst zerstören." Durch die komplizierte Kinematik, die teilweise parallel geführten Bearbeitungsschritte sind Kollisionen einfach nicht auszuschließen. Trotz umfangreicher Prozess-Simulationen, die im Vorfeld den reibungslosen Ablauf der Bearbeitung sicherstellen sollen - weil sich Simulation und Wirklichkeit eben doch immer wieder unterscheiden, manche Ereignisse nicht vorhersehbar sind.

Mit einer von RISC Software, einem im Softwarepark Hagenberg ansässigen Unternehmen der Johannes-Kepler-Universität Linz, entwickelten Steuerung sollen solche kostspieligen Unfälle in Zukunft zuverlässig vermieden werden. Die "Crashguard" genannte Software ist integraler Bestandteil der Maschinensteuerung, also mit dem tatsächlich ablaufenden Fertigungsprozess nahtlos verzahnt, und löst eine automatische Notbremse aus, bevor es zu Kollisionen zwischen Werkzeug und Werkstück kommen kann.

Virtuelles Modell

Crashguard basiert auf einem virtuellen Geometriemodell der Maschine, der Werkzeuge und des Werkstücks, das permanent mit den aktuellen Daten der Bearbeitung gefüttert wird und daher immer über den aktuellen Betriebszustand informiert ist. Was freilich alleine nicht reichen würde, weil schließlich auch Bremswege und Bremszeiten mitberücksichtigt werden müssen. "Deshalb rechnen wir ein kleines Stück voraus", erklärt Projektleiter Peter Stadelmeyer von RISC Software. Insofern ist auch Crashguard eine Simulation. "Wir simulieren aber im Unterschied zu den bisherigen Lösungen nicht den gesamten, oft zwanzig und mehr Stunden dauernden Prozess, sondern nur Bruchteile einer Sekunde. Dadurch können von vornherein weniger Fehler passieren." Das Restrisiko wird überbrückt, indem sichere Bereiche definiert werden.

Um in diesem Sinne der Wirklichkeit immer ein wenig voraus zu sein, braucht es flinke Algorithmen und kluge Strategien. Kollisionserkennungs-Algorithmen gibt es wie Sand am Meer, jede Rennsimulation für den PC zu Hause ist damit ausgestattet. Crashguard muss aber Kollisionen nicht nur berechnen und erkennen, sondern auch verhindern. Dazu war die Entwicklung neuer Verfahren notwendig, die an die vergleichsweise beschränkten Hardwareressourcen und die speziellen Rahmenbedingungen, die durch die Echtzeitanforderung des Systems gegeben sind, angepasst wurden.

Die Zeit, die man zur Verfügung hat, ist sehr kurz. Mehr als wenige Millisekunden sind es nicht, in denen bis zu 1500 Teilberechnungen durchgeführt werden müssen. Was manchmal zu wenig ist: "Wir sind zwar schnell, aber nicht schnell genug, um immer fertig rechnen zu können", so Stadelmeyer. Aber: "Selbst wenn einige Teilergebnisse fehlen sollten, ist das System so entworfen, dass wir ein sinnvolles Ergebnis für die Kollisionsvermeidung berechnen können." Im Wesentlichen eine Frage der Prioritätensetzung und des entsprechenden Zeitmanagements. "Diese Echtzeitfähigkeit ist eine zentrale Neuheit für Kollisionsvermeidungssysteme."

Software ist schon heute wesentlich für die Performance von Werkzeugmaschinen verantwortlich, "ob das die Verringerung der Fertigungstoleranzen oder die Geschwindigkeit der Bearbeitung betrifft", sagt Schinerl. Mit dem Ausbau der Hardware-Ressourcen werden intelligente Softwarelösungen wie Crashguard noch eine wesentlich wichtigere Rolle im Maschinenbau übernehmen. Erst recht, wenn man mit chinesischen Herstellern konkurrieren will. Im Unterschied zu manchen Branchenkollegen fürchtet sich Schinerl jedenfalls nicht: "Noch wissen wir nichts davon, dass wir kopiert werden. Im Gegenteil: Im Moment verkaufen wir in China ganz gut." (Markus Honsig/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.10. 2006)