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Foto:APA/Schlager
Wien - Dass Gerichtsverhandlungen in den meisten Fällen nicht nur öffentlich sind, sondern man da tatsächlich einfach hingehen kann, ist eine für angehende Juristen nicht unwichtige Information. Kira Hösenstock (18) und Kathi Sonntagbauer (19), beide frisch inskribierte Jus-Studentinnen, erhoffen sich von einem Besuch im grauen Haus überhaupt erste Eindrücke vom Rechtswesen.

"Das hat mich abgeschreckt"

Im Saal 211 wird ein Fall schwerer Vergewaltigung und Misshandlung bearbeitet. Nach einem anstrengenden Vormittag der Anklage- und Protokollverlesungen sowie späterer Befragungen des Angeklagten fällen die Geschworenen ihr Urteil: schuldig. Der Richter verkündet das Strafausmaß von acht Jahren Haft.

"Das hat mich zuerst schon ein wenig abgeschreckt", gibt Kira nach dem Verhandlungstag zu, ihr Interesse am Recht habe sich aber intensiviert. "Immerhin weiß ich jetzt, wofür genau ich lernen werde." Sorgen bereite ihr nur die Härte der Fälle: "Darin liegt irrsinnig viel Verantwortung" und Fernsehsendungen böten da ein ganz anderes Bild. Obwohl weniger spektakulär fände sie so eine Verhandlung "real viel schlimmer".

Stephanie Gruber (19), Jus-Studentin im dritten Semester und bereits seit letztem Jahr fleißige Gerichtsbesucherin, stimmt dem zu: "Du kennst diese Leute nicht - es gibt hier einfach zwei Meinungen, die sich widersprechen", bewundert sie die neutrale Beobachtung der Geschworenen.

Wenige Tage später finden sich die Studentinnen wieder im Straflandesgericht zusammen. Verhandelt wird diesmal ein getätigter und ein versuchter Raub an einem Postboten - wegen der Hinzunahme einer Waffe fällt das Vergehen unter "schweren Raub", Paragraf 143 des Strafgesetzbuches. Das mögliche Strafausmaß von fünf bis 15 Jahren Haft scheint den Juristinnen in spe im Vergleich zum gleichen Strafrahmen bei schwerer Vergewaltigung unangebracht. "Ein Mensch ist offenbar weniger wert als eine Sache", ist Kathi empört - das beobachten zu können, habe ihr jetzt bestätigt: "Da stimmt etwas nicht in unserem Rechtssystem." Man solle nicht nur die Regeln für das Strafausmaß neu überdenken, sondern auch überlegen, ob in bestimmten Fällen nicht überhaupt andere Strafen sinnvoll wären. Die zu sechs und fünf Jahren Haft verurteilten Räuber "sind arbeitslos und haben Drogen genommen, jetzt kommen sie ins Gefängnis und nach fünf Jahren sollen sie dann auf einmal wieder in die Gesellschaft passen?", echauffiert sich Kathi.

Wer sich intensiver mit der Arbeit der Richter und Anwälte beschäftigen will, kann sich bei einzelnen Gerichten als Rechtshörer bewerben. Als Jus-Student wird man einem Richter zugeteilt, der einem etwa Rechercheaufgaben überträgt, man hat Akteneinsicht und kann bei einem kooperativen Betreuer womöglich sogar selbst ein Urteil schreiben. (Isabella Hager/DER STANDARD-Printausgabe, 3.10.2006)