Rachinger: Die Kataloge sind mittlerweile zur Gänze digitalisiert. Die Katalog-Recherche und die Bestellung der gesamten Bestände der Nationalbibliothek funktioniert per Computer. Die Bücher kann jeder Leser von seiner Wohnung aus bestellen - zwei Stunden später liegen sie hier für ihn bereit.
Standard: Auf diese Weise wurde Platz gewonnen.
Rachinger: Zum Beispiel für die Leselounge. Schließlich sind Bibliotheken auch Orte des Verweilens. Vor allem junge Leser sollten zum Lernen eine gute, angenehme und ästhetisch ansprechende Atmosphäre vorfinden. Eine Umgebung, in der sie sich wohl fühlen. Die roten Lesesofas, in denen wir hier sitzen, sind übrigens von Wittmann. Ich bin der Auffassung, gerade an Orten, die für die Öffentlichkeit gedacht sind, sollten exklusives Design und ausgesuchte Materialien, angewandte Kunst, zur Verfügung stehen.
Standard: Was die Leser offenbar zu schätzen wissen.
Rachinger: Ja. Obwohl die Recherche heute überwiegend von Zuhause aus geschieht - die Zugriffszahlen auf unsere Homepage sind in den letzten Jahren um 100 Prozent von 20 auf 40 Millionen angewachsen -, steigen dennoch die Leserzahlen hier im Haus kontinuierlich.
Standard: Neben den Katalogen findet man auf Ihrer Homepage zahlreiche weitere Digitalisierungsprojekte ...
Rachinger: ANNO, "Austrian Newspapers Online", in dem wir historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften Seite für Seite online stellen, ist ein erstaunlicher Erfolg: 14 Millionen Zugriffe jährlich.
Momentan arbeiten wir an einem weiteren historischen Projekt: ALEX. Wir speisen nach und nach die Gesetzestexte Österreichs der Jahre 1850-1918 ins Netz, auch jene der Kronländer. Historiker aus aller Welt können auf diese Materialien direkt zugreifen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Identitätsfindung der betroffenen Länder. Die Demokratisierung des Wissens durch das Internet ist auf diese Weise weit mehr als nur ein Schlagwort.
Standard: Stichwort Langzeitarchivierung: Im 21. Jahrhundert archiviert die Bibliothek neben Büchern auch weniger haltbare Datensätze: CDs, audiovisuelle Medien, Tonbänder ...
Standard: Werden neben den Zeitungen und dem Bildarchiv auch die Buchbestände der ÖNB ins Netz gestellt?
Das Wichtige bei einem solchen Projekt ist es, eine so genannte "kritische Masse" zu erreichen. Also eine so große Menge von Büchern, dass der User damit rechnen kann, das Gesuchte auch tatsächlich zu finden. Dann erst wird die European Digital Library für ihn wirklich interessant.
Standard: Die Bestände der Nationalbibliothek wachsen. Bald, so ist zu hören, sind auch die neuen Tiefspeicher gefüllt.