Killers-Sänger und -Keyboarder Brandon Flowers (li.): "Ich will uns Amerikaner mit diesem Album wieder menschlich machen."

Foto: Standard/Anton Corbijn
Blackpool - Hoch oben im Nordwesten Englands liegt Blackpool, das aus der Mode gekommene Ausflugsziel der Working Class. Weil dort ein feuchter Atlantikwind an die Küste zu peitschen pflegt, verfügt die vom Mottenkugeldunst verhangene Seestadt über einen wetterfesten Tempel verblichener Spaßkultur namens Winter Palace. In der von stuckbeladenen Stahltraversen überdachten Bauchhöhle jener viktorianischen Kitsch-Explosion kämpft eine US-Rockband namens The Killers mit der schwammigen Schwimmbad-Akustik.

Sekundanten

Aber der Sound spielt an diesem Abend keine Rolle, denn das Publikum retourniert die Refrains sämtlicher Hits von "Mr Brightside" über "Somebody Told Me" bis "When You Were Young" in ebenbürtiger Lautstärke. In einer Kombination aus rotem Smoking und schwarzen Jeans gibt Sänger und Keyboarder Brandon Flowers zwischen seinen eher statischen Sekundanten an Bass und Gitarre einen passablen Frontmann ab.

Aber die enthusiastische Seele der Band ist eindeutig der schnauzbärtige Schlagzeuger Ronnie Vannucci auf dem Podest hinter ihm. Als sich nach Verklingen des bombastischen Schlussakkords die Menge durch die Aula schiebt, erhebt sich in Fußballplatzmanier der Chor "I've got soul, but I'm not a soldier". Was genau diese Zeilen heißen sollen, wisse zwar niemand, schreibt am nächsten Tag die Blackpool-Gazette in ihrer Rezension, aber das Gastspiel der Killers sei zweifellos das größte Konzert seit Jahren gewesen.

Heimat Las Vegas

Die Idee der CD-Firma, der versammelten Weltpresse ausgerechnet hier das Nachfolge-Album zum fünf Millionen Mal verkauften Debüt "Hot Fuss" zu präsentieren, beruht auf dem Missverständnis, Blackpool sei das englische Gegenstück zu Las Vegas, dem Heimatort der Killers.

In Wahrheit sind seine gealterten Alleinunterhalter und verlotterten Fish-&-Chips-Buden die genaue Antithese zur im Titelsong von "Sam's Town" beklagten, wurzellosen Erneuerungswut der US-Casino-Metropole. "Natürlich ist es aufregend, wenn in Las Vegas ständig neue Häuser aus dem Boden schießen", erklärt Brandon Flowers beim Interview. "Aber mittlerweile denken wir oft schon nostalgisch daran zurück, was vor zwei Wochen passiert ist."

Paradoxes Statement

Das bestürze ihn, meint Flowers ironielos, weil jene Nostalgie besser in Dinge investiert wäre, die vor fünfzig Jahren geschehen seien. "Meine Eltern sind 65, und ich teile ihre Werte. Sie kommen noch aus der guten alten Zeit. Heute gibt es keine Achtung vor normalen Menschen mehr. Jeder will berühmt sein."

Ein eher paradoxes Statement für einen Popstar, noch dazu, wo seine mit ihren effektiv vermengten Anleihen bei Bands wie U2, New Order oder Oasis bisher nicht gerade das Erbe der US-Tradition hochgehalten hat. Aber seit "Hot Fuss" wurden "neue Zutaten in den Eintopf geworfen": Die dicht arrangierten Chöre der Cars, die amerikanisierten Beatles-Harmonien eines Tom Petty und der dramatische Pathos des frühen Springsteen.

"Es ist traurig genug, dass ich erst 24 werden musste, bis ich endlich Springsteen kennen lernte", meint Flowers, "aber jetzt ist er mein neuer Morrissey. Ich verstehe, wovon er spricht, während ich bei Morrissey oft im Wörterbuch nachschlagen musste." Die musikalische Umorientierung der Killers geht offenbar mit einer Neuentdeckung patriotischer Gefühle einher.

Schlacht um die Herzen

Das freundliche Feuer der breiten Refrains soll jene Schlacht um die Herzen gewinnen, von der so viele ihrer rockenden Landsleute desertiert sind: "Ich hasste dieses 'American Idiot'-Album von Green Day", sagt Flowers, "ich fand das billig. Wenn sie vor einem europäischen Publikum spielen und die Kids 'ich bin ein amerikanischer Idiot' mitsingen, dann beleidigt mich das. Voriges Jahr in Glastonbury ging Jack White (von den White Stripes, Anm.) auf die Bühne und sagte, es tue ihm leid, Amerikaner zu sein. Das hat mich erschüttert. Er ist immer so stolz darauf, dass er so wie Iggy Pop aus Detroit kommt. Und sobald es einen Krieg gibt, entschuldigt er sich dafür. Was soll das? Ich will uns Amerikaner mit diesem Album wieder menschlich machen. Ich will zeigen, dass wir gute Leute sind." (Robert Rotifer/DER STANDARD, Printausgabe, 3.10.2006)