Jan Delay: "Mercedes-Dance"

Man findet ihn manchmal immer noch im Reggae-Regal - doch unter seine Vergangenheit zieht Jan Delay nun einen dicken Strich. Auf dem neuen Album geht es um Funk, um Grandezza und um Stil: Breit und bräsig wälzt sich der Sound im Eröffnungstrack los und bleibt auf Schiene; gefällig im Arrangement, selbstgefällig - aber charmant! - in der Attitüde. Und mit großteils klasse Texten, abgesehen von ein paar doofen Kommentaren über weibliche Popstars. Am besten beschreibt sich Neo-Dandy Delay selbst: Ich mag die Haltung vom Punk und den Style vom Jazz / Ich mag die Bässe vom Reggae und die Beats vom Rap ... Großer Entertainer geworden, der Herr! (Buback/Universal)

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Jan Delay

Coverfoto: Buback

The Pipettes: "We are the Pipettes"

Jaja, man soll sich nicht auf jeden Hype einlassen. Und wahr ist auch, dass der Girliepop-Sound der 60er in den vergangenen Jahrzehnten schon von mehreren Band-Generationen aufgegriffen wurde ... und meistens mit mehr Innovationspotenzial, als dies bei Rose, Becki und Gwenno aus Brighton der Fall ist. - Doch wer auf Drei-Minuten-Beglückung steht, muss auch einräumen, dass die Pipettes mit Beispielen wie "Pull Shapes" und vor allem "One Night Stand" herrliche Pop-Songs fabrizieren können. Und überhaupt: Jeder Generation ihre Bananarama, das ist ein musikalisches Grundrecht. (Cooperative Music/V2)

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The Pipettes

Coverfoto: Cooperative Music

Scissor Sisters: "Ta-Dah"

Schon bei der Live-Präsentation der neuen Songs am Salzburger Frequency-Festival zeichnete sich ab, dass die Scissor Sisters nicht ganz an frühere Höhenflüge anschließen können würden. Und - Ta-Dah! - das neue Album bestätigt den Eindruck. Wie gehabt servieren die New YorkerInnen eine 70er-Jahre-Melange aus Supertramp, Bee Gees und Elton John. Letzterer war sogar in persona an zwei Stücken beteiligt; witzigerweise den besten: Der Single "I Dont' Feel Like Dancin" und dem einsamen Höhepunkt des Albums, dem Sparks-artigen Klimperding "Intermission". - Gesamt- bewertung: Gerade gut genug, um die Stimmung zu halten, die von den Songs des ersten Albums erst geschaffen werden muss. (Polydor/Universal)

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Scissor Sisters

Coverfoto: Polydor

Johannes Finke: "Nichts wird sich immer alles nicht ändern"

Dem klobigen Titel zum Trotz schreibt der Marbacher Johannes Finke in erster Linie Gedichte und in zweiter Lieder. Letztere kommen daher ohne großes Sound-Brimborium aus; großteils tut's eine Gitarre. Der Deutsche klampft sich angry van Dannen durch schlichte Songs und lässt persönliche Frustmomente vom ersten Kuss bis zum derbsten Fick Revue passieren. Die Stimmung entspricht der, die einen spätabends nach einigen Bieren und dem Erkennen der eigenen Letschertheit befällt - bis man am nächsten Morgen vielleicht doch endlich mal den Arsch hochkriegt. (Pavlek Schallplatten/Soulseduction)

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Johannes Finkes myspace-Seite

Coverfoto: Pavlek Schallplatten

Lo-Fi FNK: "Boylife"

Feel my heartbeat: Trembling to the beat like a symphony - das ist kein Zitat aus einem Lo-Fi FNK-Stück, sondern natürlich aus Annies Dancefloor-Hit "Heartbeat". Aber es steht auch für das Gefühl, das die Stockholmer Leo Drougge und August Hellsing auf voller Länge ihres ersten Albums verbreiten: Abheben, Glücksmomente, Trost- und Mitreißbotschaften zu einem unverbrauchten Elektropop-Sound, für den hauptsächlich französische Größen - von Benjamin Diamond bis Daft Punk - Pate gestanden zu haben scheinen. Jugendlich und frisch wie die junge Fa - ein wunderbares Album. (Moshi Moshi Records)

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Lo-Fi FNK

Coverfoto: Moshi Moshi

The Hidden Cameras: "Awoo"

Bei Lo-Fi FNK bleibt's offen, die Hidden Cameras aus Kanada hingegen laufen eindeutig unter schwule Pop-Musik. Allerdings gibt sich Band-Mastermind Joel Gibb zunehmend poetisch verschlüsselt - wie auch der Sound sachter und harmonischer geworden ist. Mit "Hump from Bending" ist eine Aufpeitsch-Hymne alten Stils enthalten (zudem eine sehr gute), meistens herrscht auf "Awoo" aber weniger Gedrängel auf den Tonspuren. Es bleibt flotter Folk-Pop mit Betonung auf Gitarre und Gesang; Geigen, Cellos, Glockenspiele und Co ordnen sich brav unter. Die neuen, etwas anderen, Hidden Cameras mögen ruhiger geworden sein - aber keinesfalls schlechter. (Rough Trade)

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The Hidden Cameras

Coverfoto: Rough Trade

Box Codax: "Only An Orchard Away"

Dass einem die Hauptband irgendwann mal langweilig wird, ist im Falle Nick McCarthys nur allzu verständlich - und so gründete er zusammen mit Kumpel Alexander Ragnew das Seitenprojekt Box Codax. Das Ergebnis klingt in etwa so, als wären die alten Lo-Fi-Pioniere Beat Happening zurück gekehrt, um mit billigen Synthesizern den Ententanz zu bearbeiten und "gesanglich" den Kehlkopfkartarrh zu fordern. Wenn beim soundverwandten Punk-Orgler Quintron der Wahn regiert, tut's hier eher das Kalkül - trotzdem ist "Only An Orchard Away" eine willkommene Ohrenreinigung. (Gomma Records/Soul Seduction)

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Box Codax

Coverfoto: Gomma

Die Aeronauten: "Hier: Die Aeronauten"

Wie ein Besuch bei altvertrauten Freunden wirkt es stets, wenn die Dexys Midnight Schweizer alias Aeronauten eine neue Platte herausbringen. Sie singen zwar davon, Tocotronic zu hören - aber eigentlich ist jede Deutschrockmode der letzten 15 Jahre spurlos an ihrem Punkpop vorbeigegangen; und grade darum bleibt er ewig frisch. Zu Trompeten- und Saxofongetröte skandiert das Quintett launige Parolen wie Hey Ozonloch, geh wieder zu! oder Frauen, behaltet eure Finger bei euch! "Inhaltlich angeregt" wurden sie dazu nach eigenem Bekenntnis von Elfriede Jelinek ebenso wie von Ingo Appelt ... (L'Age d'Or/SPV)

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Aeronauten

Coverfoto: L'Age d'Or

Eagle*Seagull: "Eagle*Seagull"

Eine der besten Rock-Platten des Jahres kommt aus Nebraska. Das deshalb, weil das Sextett Eagle*Seagull eine ziemliche Bandbreite dessen, was Gitarrenmusik hergeben kann, abdeckt: von tiefmelancholischen Balladen bis zu euphorischem Dahinbrettern. Zusammengehalten werden die divergenten Sounds von erfinderischem Pianoeinsatz und der Stimme Eli Mardocks - nicht weniger markant als die von Robert Smith. Eine beeindruckende Platte, die so gar nicht nach dem klingt, was sie ist: ein Debüt. (Lado/SPV)

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Eagle*Seagull

Coverfoto: Lado

Division Kent: "Monsterproof"

Ok, ich gestehe: New Wave-Elektronik à la Visage mag ich immer noch so sehr, dass ich sogar dem Kelly Osbourne-Stampfer "One Word" Einiges abgewinnen konnte ... das nur zwecks Einschätzung angemerkt. Das US-Schweizer Duo Division Kent, bestehend aus Sky Antinori und Andrea B., lässt zwischendurch Ansätze Richtung Dub und TripHop aufkommen, hat größtenteils aber den Frühachtziger-Sound kaum stärker modernisiert als ihre 1:1-Version des NDW-Hits "Tango 2000". - "Monsterproof": Eine Kaltplastikschale und nicht unbedingt die wichtigste Platte ... macht aber Spaß sie anzuhören. (Epic/Sony)

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Division Kent

Coverfoto: Epic/Sony