Eddie Vedder als Russell Crowe als Barry Gibb im Grunge-Musical "Giving The Cucumber" live in der Wiener Stadthalle. Depression statt Resignation.

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Wien - Eddie Vedder sieht aus wie Russell Crowe. Der spielt im kommenden Hollywood-Musical Giving the Cucumber den beliebten BeeGee und Falsett-Sänger Barry Gibb. Beruhend auf einer wahren Geschichte, recherchiert Barry in den frühen 70er-Jahren verdeckt in Hell's-Angels-Kreisen, wie sich so ein Rocker akustisch seine Freizeit verbaut. Nach Schmachtfetzen wie Massachusetts will der Mann ein neues Image wagen.

Aber: ui! Bei den Rockern saubarteln die Gitarren mächtig mit grimmigen Kontinentalverschiebungs-Riffs über feisten Vierviertelliter-Takten den Highway hinunter zum nächsten Supermarktüberfall!

Leider fliegt die Tarnung des sich schnell und auch aus Trotz gegenüber seinem Therapeuten (es ist ekelig, aber ich schaffe das!) in der postpubertären Verwahrlosung eingelebt habenden Barry Gibb vorzeitig auf. Während die Rocker am Nachmittag auf eine Schlägerei oder zum Tätowieren gehen, duscht Barry sich heimlich und wäscht dabei immer auch die Haare mit Apfel- shampoo. Dessen frischer Duft erinnert ihn an bessere Zeiten daheim in der Millionärsvilla.

Blöde Geschichte

Das stinkt den Rockern ganz gewaltig. Und deshalb muss Barry zu den Klängen von Neil Youngs Hey Hey, My My (Into The Black) in eine Disco flüchten, wo dann aber eh mehr Mädchen sind. Der sensible Sänger findet das super und erfindet dort die Goldketterl und das Samstagnachtfieber.

Wir sehen schon: Eddie Vedder, wegen dessen Kunst man sich in der Stadthalle aus ein klein wenig Langeweile schon nach einer halben Stunde Konzert solche Geschichten ausdenken muss, hat ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem. Dass der 41-Jährige und Pearl Jam mit ihrem frisch geduschten Grunge-Rock schon zum Zeitpunkt des Selbstmords von Kurt Cobain auch dank literarisch wertvoller Hilfeschreie aus dem Grauen der Provinz deshalb bei der Weltjugend kolossal beliebter waren, als es Nirvana je sein wollten: geschenkt.

Keine Buschpiloten

Mit über 60 Millionen verkauften Platten und einer fallenden Tendenz von den zwölf Millionen abgesetzten Einheiten des Debüts Ten aus 1991 bis zu den vergleichsweise mickrigen 600.000 Stück des aktuellen Albums Pearl Jam mag zwar der Zenit längst überschritten sein. Künstlerisch war trotz redlicher Bemühungen von Eddie Vedder als politisch bewegtem Menschen und aktivem Gegner der Todesstrafe oder des Irakkriegs von Höhepunkt ohnehin selten die Rede. Im Vergleich zu anderen Grunge-Bands wie Mudhoney, Tar oder Tad waren Pearl Jam musikalisch immer Landungsklatscher, keine Buschpiloten.

Wie man jetzt auch in der Stadthalle feststellen konnte: Das Beamtentum, das Pearl Jam in ihrer Verwaltung des klassischen Rock der 70er-Jahre ohne jedwede ironische Brechung heute auch schon rein optisch darstellen, bläht sich über den Opener Life Wasted und bezeichnende Titel wie Comatose, Small Town, Sad, World Wide Suicide oder I Get Shit zu einer Feierstunde des von existentialistischem wie gesanglichem Völlegefühl geprägten Jammerns. Dieses sollte man mit 41 Jahren überwunden haben.

Gerade als betroffen knödelnder Heldentenor wäre in diesem Alter die gelassene Resignation der sich wichtig aufpudelnden Depression vorzuziehen. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2006)