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Tony Blair patriotisch: "Unser Kernanliegen ist das Land"

Foto: Reuters/Stephen Hird
Der große Abschied beginnt mit einem Fußmarsch. Vom altehrwürdigen Midland Hotel, dessen Backsteinfassade so britisch aussieht, dass sie jeden Reiseprospekt zieren könnte, läuft Tony Blair auf die Wahrzeichen des neuen Manchester zu. Eine Lagerhalle, die früher der Great Northern Railway gehörte, beherbergt neuerdings Lofts und eine schicke Geschäftspassage. Rechts von ihr ragt ein funkelnagelneuer Glasturm in den Himmel, links hat man eine alte Bahnhofshalle in ein Kongresszentrum umgebaut.

Es kann kein Zufall sein, dass Blair seine Labour Party zum Abschied nach Manchester holte. Die Stadt, die Friedrich Engels einst als industriellen Moloch beschrieb, die ein Jammertal durchlaufen musste, als die Spinnereien nach Asien abwanderten, diese Stadt hat sich zur Boomtown gewandelt, zur Service-Drehscheibe. Damit taugt sie prächtig als Symbol für das, was Labours Werbeabteilung gerne als „Blair’s Britain“ vermarktet: ein Land, dessen Wirtschaft seit Jahren schneller wächst als die seiner europäischen Konkurrenten. Blairs Abschiedsgang führt aber auch vorbei an schwer bewaffneten Polizisten mit kugelsicheren Westen, an Sicherheitsschleusen, wo Passierende ihre Handys in durchsichtige Plastiksackerln packen müssen. Auch das ist „Blair’s Britain“, ein Land mit erhöhter Terrorgefahr.

Es soll das große Lebewohl sein, sentimental, der Rückblick auf eine Ära. Zwölf Jahre ist es her, dass New Labours Strahlemann zu seiner ersten Rede als Vorsitzender ans Pult trat. Damals konnte er noch aufs Breiteste lächeln, und mochten ihn seine Kritiker auch als Disney-Reh namens Bambi verspotten: Die meisten Briten freuten sich über das frische Gesicht, eine willkommene Alternative zum mausgrauen John Major. Jetzt ist Blair selber ergraut, zwar ist er erst 53 Jahre alt und doch schon auf dem Sprung zum „elder statesman“, um dessen Memoiren die Verleger bereits heftig buhlen.

Die Mitte halten

Adieu sagen, für einen so dominanten Politiker wie Blair heißt das, noch ein letztes Mal die Richtung zu weisen. In seiner Rede dreht sich alles darum, welches Erbe er seiner Partei hinterlässt, welche Auflagen er in seinem Testament zu diktieren gedenkt. Der Kern: New Labour möge New Labour bleiben, fest angesiedelt in der Mitte, nicht wieder abdriften in alte Klassenkampfzeiten. Und versöhnen mögen sie sich, die zerstrittenen Erben, denn falls sie sich zanken, servieren sie den Konservativen die Macht auf dem Silbertablett.

Wie dünn das Eis der Versöhnung ist, bekommt man im lilaroten Plenarsaal nicht mit, dazu muss man schon eine der vielen Diskussionsrunden am Rande aufsuchen. Zum Beispiel die der Fabian Society, einer hochkarätigen Gedankenschmiede. Wie Britannien wohl nach Blair aussehen wird, stellen die Fabianer zur Debatte. Auf einer Tafel prangt ein Poster, Gordon Brown und Hillary Clinton beim Schulterschluss – New Labours Wunschtraum für das Jahr 2008. Die Blairites haben Charles Clarke, den früheren Innenminister, in die Runde entsandt, die Brownites Ed Balls, einen Aufstrebenden, der zwar de iure nur Staatssekretär ist, de facto indes die rechte Hand Gordon Browns.

„Was tun Sie persönlich, um die Umwelt zu schonen?“, fragt der Moderator. Clarke, ein schwerer Mann, sagt, dass er öfter radfahre. „Und dabei fällst du immer vom Sattel, was“, stichelt Balls. Vor Zorn ganz rot im Gesicht, zischt Clarke zurück: „Nein, ich falle nicht runter, und das Rad bricht auch nicht zusammen unter meinem Gewicht.“ Eine harmlose Frage, und dann gleich ein so giftiges Duell. Der Wortwechsel spricht Bände.

Bände spricht auch Peter Mandelson. Einst war er einer der Architekten von New Labour, nunmehr ist er Brüsseler EU-Kommissar. „Noch fünf Jahre!“, ruft er Blair zu, als der ihm in der Hotellobby begegnet. Mandelson hat sich mit Brown tief verkracht. Brown, sagt Mandelson in die Reportermikrofone, habe sich nie damit abgefunden, dass Blair 1994 ihm, dem Älteren und Gründlicheren, „etwas wegnahm, was er so sehr wollte“.

Mit einem Versöhnungsappell an seine zerstrittenen Erben absolvierte Tony Blair am Dienstag seine letzte Rede als britischer Premier und Parteichef vor einem Labour-Kongress. Aber zwischen den verfeindeten Lagern fliegen weiter die Giftpfeile. (Frank Herrmann aus Manchester/DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2006)