Von den Damen am Hof Ludwigs XVI. wird berichtet, dass ihre Absätze so hoch waren, dass sie nur mithilfe eines Stockes laufen konnten. Um Stiegen zu bewältigen, musste ihnen jemand unter die Arme greifen. Das war im 18. Jahrhundert, der Damenabsatz war damals geschwungen und schräg an- gesetzt, funktionell musste er jedenfalls nicht sein.

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Entwurf von Alexander McQueen

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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zumal in der heurigen Herbst-/Wintersaison, stellt sich die Lage ähnlich dar: "Mount on French heels when you go to a ball, it is now the fashion to titter and fall" (Steigt auf französische Absätze, wenn ihr zum Ball geht, es ist heute Mode zu torkeln und zu fallen) - dieser Zweizeiler eines Spaßvogels aus dem 18. Jahrhundert ist in dieser Saison so aktuell wie Leggings oder der Lagenlook.

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Jil Sander

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Und das nicht nur, betrachtet man die Kollektionen einiger französischer Designer: Die massiven Keilabsätze vom Frühjahr haben mittlerweile zusätzlich ein Plateau verpasst bekommen, die Stöckel werden durch Querleisten gestützt oder durch Fellbesatz aufgemotzt, Schleifchen, Riemchen oder - wie bei Miu Miu - Stuck betonen das Schuhwerk um ein Weiteres, auf dass ja niemand die klobigen Kunstwerke übersehen könnte. Denn um Kunstwerke handelt es sich bei diesen Schuhkreationen allemal. Zum Gehen sind sie nicht da - höchstens zum Stolpern.

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Miu Miu

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Bei einem Designer wie Nicolas Ghesquière für Balenciaga mag das ja noch angehen. Seine gesamte heurige Kollektion ist eine einzige Hommage an den großen Cristóbal - und an jene Zeiten, als das Schuhwerk besonders verrückt spielte. In den späten 60ern und vor allem den 70ern zierten Plateausohlen jedes Schuhregal - weniger allerdings die Füße ihrer Trägerinnen. Ästhetisch waren Plateauschuhe nämlich schon immer ein Grenzfall, sie huldigten eher der Kreativität der Schuhmacher (besonders einfallsreich war etwa Salvatore Ferragamo) und weniger der Attraktivität der Frauen.

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Plateaus haben allerdings noch einen anderen kulturgeschichtlichen Hintergrund: Griechische Schauspieler trugen Kothurne, um ihre Statur zu vergrößern und ihren Bewegungen Würde zu verleihen, venezianische Damen des 16. Jahrhunderts dagegen die theatralischen Chopines (eine Art Sockelschuh), um ihre privilegierte Position zu unterstreichen. Immer ging es dabei um eine Erhöhung der eigenen Person - und das in einem ganz profanen Sinn.

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Louis Vitton

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Das erscheint heute lächerlich. Warum sollte das "die selbstbewusste, starke Frau", die Designer immer so gern im Mund führen, notwendig haben? Auf einem Plateau wird sie zur Statue, zur bewegungslosen Repräsentantin ihrer Weiblichkeit. Das Korsett, das Frauen früher um die Hüfte trugen, ist in dieser Saison nach unten gerutscht. Jetzt tragen sie es an den Füßen.

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Marc Jacobs

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Nach der maximalen Beweglichkeit, die das Nichts von Girlie-Look und die grassierende Sportmode der vergangenen Jahre garantiert haben, scheinen jetzt wieder starrere Zeiten zu nahen. Frau darf die Welt von weiter oben sehen - und muss froh sein, wenn sie dabei nicht auf die Nase fällt. (Stephan Hilpold, Der Standard/rondo/22/9/2006)

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Louis Vitton

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