Gerald Bast (li.), Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, und Peter Noever, Direktor MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst, sind Initiatoren der seit Anfang September laufenden Kunstoffensive "Gegenwartskunst in die Regierung", deren Schlussphase am Donnerstag mit einer Aktionsnacht im MAK-Garten eingeleitet wurde.

Fotos: Saulich/Westermann

Raus aus der "Kunst-Depression", her mit einem Kunst-Ministerium – z. B. in Domenigs Z-Filiale in Favoriten.

Foto: MAK/ Michalski
Eines wird im aktuellen Wahlkampf mehr als deutlich: Die österreichische Kunst- und Kulturpolitik scheint am Höhepunkt ihrer Depression angelangt. Die Kunst ist nicht einmal mehr in der Defensive, sie spielt in diesem Land offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr, wenn es um die Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft geht. Alles, was man für die Entwicklung unseres Landes als wichtig erachtet, wird jetzt – zumindest auf der Schlagwortebene – plakatiert, verlautbart und diskutiert. Nur ein Thema bleibt einmal mehr im politischen Out: die Kunst, vor allem die zeitgenössische Kunst, und damit die letzte verbleibende Instanz, die qualitative gesellschaftliche Weiterentwicklung ermöglicht.

Wie kaum ein anderes Land versteht sich Österreich per Selbstdefinition als "Kulturnation". Mit diesem offiziellen Selbstbild wird schwerpunktmäßig eine vergangenheitsverklärende Repräsentationskultur bedient und eine schamlose wirtschaftliche wie politische Ausbeutung unseres kulturellen Erbes betrieben. Gegenwartskunst, zeitgenössische Positionen in Kunst, Literatur, Architektur und Musik finden in der österreichischen Kulturpolitik keinen angemessenen Platz. Die Stilisierung eines jahrzehntelang zu Unrecht in Staatsbesitz gehaltenen Gemäldes von Klimt als Symbol der nationalen Identität Österreichs mag als Symptom für den Wesensgehalt des Begriffs von der "Kulturnation Österreich" dienen.

Wenn im Vorfeld einer bundesweiten gesellschaftspolitischen Richtungsentscheidung Kunst überhaupt kein Thema ist, dann ist dies ein desaströses Zeugnis für die österreichische Kunstpolitik. Wer von der "Kulturnation Österreich" redet, hat auch eine Verantwortung für das Heute.

Akutprogramm

Für die Kunstszene ist das gänzliche Fehlen einer politisch angemessenen Plattform eine Katastrophe. Die Präsentation zeitgenössischer österreichischer Kunst verkümmert in der internationalen Bedeutung zur Marginalie. Wenn Österreich die neuen Gerstls, Kokoschkas, Schieles oder Klimts nicht verpassen will, muss Kunst wieder zum gesellschaftspolitischen Thema werden. Oder in der Sprache der Wirtschaft ausgedrückt: Wer sich auf die Erfolgsprodukte der Vergangenheit verlässt, ohne in die Produkte von morgen zu investieren, steht bereits mit einem Fuß im Bankrott!

Die als Akutprogramm dringendst notwendigen Schritte sind:

  • Österreich braucht ein Ministerium für Gegenwartskunst! Bildende Kunst, Architektur und Design, aber auch alle anderen künstlerischen Äußerungen wie Literatur und Musik müssen wieder adäquat in der politischen Landschaft verankert werden. Als symbolischer Akt sollte dieses Ministerium in Günther Domenigs in den 70er-Jahren erbautem radikalem Bauwerk, einer Ikone zeitgenössischer Architektur, der still gelegten Z-Filiale in Wien-Favoriten, installiert werden. Ein Bundesministerium für Gegenwartskunst, auch als Modellcharakter für eine auf das Wesentliche reduzierte Organisation und neues Kunstbewusstsein: Schließlich gestattet nur das Experiment Fortschritt. Mit einer Künstlerquote sollte der Kunst auch in anderen Ministerien und öffentlichen Ämtern eine offensive Stimme gesichert werden.


  • Der chronischen Budgetknappheit zur Sammlung und Förderung zeitgenössischer Kunst muss mit der Einrichtung einer Österreichischen Nationalstiftung für Gegenwartskunst ein Ende gesetzt werden. Analog zum Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung könnte ein derartiges Instrument der internationalen Marginalisierung zeitgenössischer österreichischer Kunst effektiv entgegenwirken.


  • Die Bedeutung österreichischen Designs muss gestärkt werden, beispielsweise mit einem Design Award of the Year mit eindeutiger internationaler Ausrichtung. Von ähnlichem Format wie der Pritzker-Preis in der Architektur wäre dieser Award ein Motor für die Kreativszene und könnte Österreich langfristig wieder als wichtiges Design-Land positionieren.


  • Der Kunstunterricht an den Schulen bedarf dringend einer Reform. Die Weiterentwicklung der Gesellschaft ist existenziell abhängig von einem Umfeld, das geprägt ist von Neugier und Begeisterung gegenüber allen, besonders zeitgenössischen, künstlerischen Ausdrucksformen.


  • Und schließlich muss der unerträglichen Banalisierung des Kunstprogramms im ORF, insbesondere im Fernsehen, ein Ende gesetzt werden. Kunstberichterstattung wurde in den letzten Jahren sukzessive eliminiert. Das ist bedenklich, da jedes Vorhaben in der Kunst die Unterstützung dieses Mediums benötigt, um der Öffentlichkeit näher gebracht zu werden. Der ORF muss neue Sendungsformate entwickeln, der Kunst wieder mehr Sendezeit gewähren und vor allem Künstler/innen in die Programmgestaltung einbeziehen.


  • Die Realisierung dieser Vorschläge wäre, wenn auch nur ein Anfang, ein Neustart mit Potenzial. Und dabei geht es nicht nur um die Zukunft der Kunst selbst, sondern um die Entwicklung unserer Gesellschaft. Eine Gesellschaft braucht für ihre Lebensfähigkeit mehr als Wirtschaftswachstum und technologischen Fortschritt. Aus Verantwortung für die Kunstproduktion von heute und für dieses Land muss die kunstpolitische Depression ein Ende haben! (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.9.2006)