Dringender Appell von Peter Noever und Gerald Bast: Österreich braucht eine kunstpolitische Offensive - Kommentar der anderen
Eines wird im aktuellen Wahlkampf mehr als deutlich: Die österreichische Kunst- und Kulturpolitik scheint am Höhepunkt ihrer Depression angelangt. Die Kunst ist nicht einmal mehr in der Defensive, sie spielt in diesem Land offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr, wenn es um die Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft geht. Alles, was man für die Entwicklung unseres Landes als wichtig erachtet, wird jetzt – zumindest auf der Schlagwortebene – plakatiert, verlautbart und diskutiert. Nur ein Thema bleibt einmal mehr im politischen Out: die Kunst, vor allem die zeitgenössische Kunst, und damit die letzte verbleibende Instanz, die qualitative gesellschaftliche Weiterentwicklung ermöglicht.Wie kaum ein anderes Land versteht sich Österreich per Selbstdefinition als "Kulturnation". Mit diesem offiziellen Selbstbild wird schwerpunktmäßig eine vergangenheitsverklärende Repräsentationskultur bedient und eine schamlose wirtschaftliche wie politische Ausbeutung unseres kulturellen Erbes betrieben. Gegenwartskunst, zeitgenössische Positionen in Kunst, Literatur, Architektur und Musik finden in der österreichischen Kulturpolitik keinen angemessenen Platz. Die Stilisierung eines jahrzehntelang zu Unrecht in Staatsbesitz gehaltenen Gemäldes von Klimt als Symbol der nationalen Identität Österreichs mag als Symptom für den Wesensgehalt des Begriffs von der "Kulturnation Österreich" dienen.
Wenn im Vorfeld einer bundesweiten gesellschaftspolitischen Richtungsentscheidung Kunst überhaupt kein Thema ist, dann ist dies ein desaströses Zeugnis für die österreichische Kunstpolitik. Wer von der "Kulturnation Österreich" redet, hat auch eine Verantwortung für das Heute.
Akutprogramm
Für die Kunstszene ist das gänzliche Fehlen einer politisch angemessenen Plattform eine Katastrophe. Die Präsentation zeitgenössischer österreichischer Kunst verkümmert in der internationalen Bedeutung zur Marginalie. Wenn Österreich die neuen Gerstls, Kokoschkas, Schieles oder Klimts nicht verpassen will, muss Kunst wieder zum gesellschaftspolitischen Thema werden. Oder in der Sprache der Wirtschaft ausgedrückt: Wer sich auf die Erfolgsprodukte der Vergangenheit verlässt, ohne in die Produkte von morgen zu investieren, steht bereits mit einem Fuß im Bankrott!
Die als Akutprogramm dringendst notwendigen Schritte sind:
Die Realisierung dieser Vorschläge wäre, wenn auch nur ein Anfang, ein Neustart mit Potenzial. Und dabei geht es nicht nur um die Zukunft der Kunst selbst, sondern um die Entwicklung unserer Gesellschaft. Eine Gesellschaft braucht für ihre Lebensfähigkeit mehr als Wirtschaftswachstum und technologischen Fortschritt. Aus Verantwortung für die Kunstproduktion von heute und für dieses Land muss die kunstpolitische Depression ein Ende haben! (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.9.2006)
"Kunst in die Regierung? Unbedingt!"