Oliver Geden ist Sozialwissenschafter am Institut für Europäische Ethnologie der Berliner Humboldt Universität, zu seinen Schwerpunkten gehört die Rechts­populismus­forschung.

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Die Entschädigung der Zwangsarbeiter sei ein Weg gewesen, um gegenüber jüdischen Organisationen "den Rücken frei" zu haben, Peter Westenthaler habe als Person die "Proleten abgedeckt", der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider habe sich in manchen Bereichen "vollkommen falsch" verhalten. Letzlich habe es der damalige FPÖ-Chef versäumt, für die Regierungsbeteiligung eine neue Strategie für die Freiheitlichen vorzubereiten: "Deshalb ist es letztlich auch schiefgegangen."

Inhaltlich sind die Aussagen von Staatssekretär Eduard Mainoni, vormals FPÖ und nunmehr BZÖ, über die Strategien der Freiheitlichen zwar nicht besonders überraschend. Erstaunlich ist aber, dass diese Passagen aus einem von ihm autorisierten Interview nun in einem neu erschienen Buch nachzulesen sind. Im Interview mit derStandard.at spricht Buchautor Oliver Geden über Mainonis Aussagen über die FPÖ, über Ursachen für den Absturz sowie die Spaltung der Freiheitlichen, aber auch über deren Einfluss auf die Regierungspolitik. Das Gespräch führte Sonja Fercher.

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derStandard.at: Was Staatssekretär Mainoni über die Strategien und die Inhalte der FPÖ sagt, ist im Grunde wenig überraschend, denn entspricht genau dem, wie Politikwissenschafter die FPÖ schon seit Jahren einschätzen. Was ist daran Ihrer Meinung nach so besonders?

Oliver Geden: Inhaltlich werden die Aussagen niemanden verwundern, das Verwunderliche daran ist aber, dass er sie als aktiver Politiker getroffen hat. Anders als Barbara Rosenkranz, Theresia Zierler und Politiker der Schweizer SVP, hat er auf Fragen nach strategischen Hintergründen auch tatsächlich geantwortet. Die anderen Interviewpartner sind Detailfragen eher ausgewichen und haben gesagt, warum bestimmte Positionen inhaltlich so wichtig ist.

derStandard.at: Ist das von Mainoni beschriebene "Geschäft mit der Angst" in der Ausländerpolitik nur Strategie?

Geden: Ich glaube schon, dass sich mit den inneren Überzeugungen deckt. Was die strategischen Ausrichtung betrifft, kann man sicherlich sagen, dass Mainoni deutlich formuliert, was andere in FPÖ und BZÖ auch denken - jedenfalls jene, die über die Geschicke der Parteien zu bestimmen haben.

Ich bin mir sicher, dass die hohen Funktionäre dort in etwa so ausländerfeindlich und antisemitisch eingestellt sind, wie sich das in den Kampagnen darstellt. Das sind sicherlich nicht zwei verschiedene Paar Schuhe, also dass man jeden Morgen mit dem Gedanken aufwacht: "Ok, wir müssen heute wieder ausländerfeindlich sein." Sie kommen ja als Freiheitliche aus dem deutsch-nationalen Lager und stehen damit auch in einer bestimmten Tradition.

Aber seit 1986 war es sicherlich in keiner Partei in Österreich leichter, Karriere zu machen als in der FPÖ, weil es sehr viele Mandate zu verteilen gab. Da gab es sicherlich Leute, die Kampagnen gegen Migranten akzeptiert haben, ohne in der Tendenz so ausländerfeindlich eingestellt zu sein, wie das die Partei artikuliert hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand an hoher Position tätig war, dem das wirklich zuwider gewesen ist. Spätestens mit der Abspaltung des LIF hätte der ja austreten können.

derStandard.at: Sie sprechen in Ihrem Buch auch die Elitenfeindlichkeit an, die Kritik, die es an der Großen Koalition gab. Spricht das Wählerpotenzial eher auf die fremdenfeindlichen Aussagen an oder spielt die Elitenkritik eine größere Rolle?

Geden: Es gibt meiner Meinung nach Überschneidungen zwischen diesen beiden Motivationen, eine Partei wie die FPÖ oder generell eine rechtspopulistische Partei zu wählen. Man kann durch die Elitenkritik oder die Kritik an den etablierten Parteien die eigene Wählerbasis um Einiges verbreitern. Das bringt mehr Stimmen, als wenn man ausschließlich ausländerfeindlich, antisemitisch oder NS-relativierend agieren würde.

Aber im Diskurs dieser Parteien werden diese beiden Bereiche oft miteinander verknüpft, indem man die Eliten für die so genannte "Ausländerproblematik" verantwortlich macht und sagt: "Die korrupten Politiker stehen auf der Seite der Ausländer und wir stehen auf der Seite des Volkes oder des kleinen Mannes und wollen das nicht mehr."

derStandard.at: Ist diese Elitenkritik und der Übergang in die Elite selber, nämlich mit der Regierungsbeteiligung, auch ein Grund, warum man sie als Regierungspartei nicht mehr so erfolgreich waren?

Geden: Man hat dann sicherlich ein Darstellungsproblem, wenn man jahrelang ? im Falle der FPÖ fast 14 Jahre lang ? erzählt, "Das sind 'die anderen', das sind die verbrauchten Altparteien, das sind 'die da oben'" und plötzlich ist man auch "da oben". Dann wird es eben schwierig glaubwürdig darzustellen, dass man nicht plötzlich auch zu den Eliten gehört. Genau diese Darstellung ist der FPÖ sehr schwer gefallen.

Das hat aber auch damit zu tun, dass sie Kompromisse, die sie gemeinsam mit der ÖVP beschließen musste, auch nach Außen gemeinsam verkaufen musste, und gewissermaßen die Partei dafür verantwortlich gemacht wird, letztlich jeder einzelne Funktionär.

derStandard.at: Worauf führen die von Ihnen Befragten die schlechten Wahlergebnisse auf die Regierungsbeteiligung zurück?

Geden: Dass man den Kontakt zur Bevölkerung verliert, weil man, gerade wenn man so eine dünne Personaldecke hat wie die Freiheitlichen, auch plötzlich mit sehr vielen anderen Aufgaben beschäftigt ist. Mainoni sagt zum Beispiel, man würde gerade durch die Einbindung in die EU eine unglaubliche Reisetätigkeit ausbilden, durch die man aber zugleich keine Möglichkeit zur Außendarstellung mehr habe. Das heißt, da werden Ressourcen abgezogen, die ihnen dann fehlen, um ihre Positionen so zu vertreten, wie sie dies als Oppositionspartei gemacht haben.

Mainoni sagte auch, dass für viele Parteifunktionäre natürlich die Gefahr bestehe, es reizvoll zu finden, wenn sie plötzlich verstärkt auf Empfänge eingeladen werden, und sie sich darin gefallen, jetzt nicht mehr die Outlaws zu sein. Sie haben zwar über die 80er und 90er Jahre immer wieder versucht, ihre eigene Ausgrenzung zu kultivieren, aber ich glaube, dass es vielen Politikern der Freiheitlichen Partei einfach gefallen hat, dass sie als Person plötzlich respektabel waren, weil sie eben zur Regierung gehörten.

derStandard.at: Was hat hier eigentlich die SVP "besser" gemacht, denn anders als der FPÖ bzw. nunmehr dem BZÖ schadet ihr die Regierungsbeteiligung nicht?

Geden: Die SVP hat sich zunächst einmal viel stärker mit der Frage beschäftigt, wie sie agieren sollen, wenn der Hauptprotagonist Christoph Blocher in der Regierung ist, also wie vermieden werden kann, dass die Partei ihr Profil verliert. Mainoni sagt ja auch, dass Jörg Haider die Partei nicht darauf vorbereitet hat oder selbst darauf nicht vorbereitet war, wie man in dieser Konstellation strategisch agieren muss.

Es ist aber auch so, dass es in der Schweiz viel leichter ist, auch in der Regierung noch konsequent populistisch zu agieren, weil anders als in Österreich nicht erwartet wird, dass die ganze Partei die Kompromisslinie der Regierung vertritt.

Zudem kann die SVP aufgrund der Referendums-Gesetzgebung immer wieder Volksabstimmungen lancieren, in denen sie sich in Opposition zu allen anderen Regierungsparteien stellt, und kann diesen Gegensatz "Wir gegen die anderen" immer wieder herstellen. Daran kann sie niemand hindern und es wird von der Öffentlichkeit auch akzeptiert, dass die Partei manchmal eine andere Meinung vertritt als die Regierungsvertreter dieser Partei.

Sobald aber Haider gegen die Regierungspolitik gemäkelt hat, wird dies als große Unstimmigkeit in der FPÖ interpretiert. Da ist man in der Schweiz toleranter.

derStandard.at: Mainoni spricht im STANDARD-Interview von einer "Win-win-Situation", was die Regelungen für den Restitutionsfonds betrifft. Nur Ehrlichkeit?

Geden: Man muss vielleicht zwei Dinge beachten: Sie hatten Probleme, das innerparteilich zu verkaufen. Gleichzeitig hat die Regierung auf Betreiben der FPÖ auch eine Entschädigungslösung für "Spätheimkehrer" aus dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Sie hatten also das Gefühl, so eine Art Ausgleich schaffen zu müssen. In der eigenen Partei wurde das so kommuniziert, dass dies kein "vorauseilender Gehorsam" gegenüber den Organisationen sei, für die in der FPÖ gerne der Begriff "die Ostküste" verwendet wird.

Trotzdem muss man natürlich auch eines sagen: Dass die Zwangsarbeiterentschädigungsregelung im Jahr 2000 zum Thema wurde, hatte ja auch mit drohenden Sammelklagen zu tun. Dies betraf zur gleichen Zeit auch Länder wie die Schweiz oder Deutschland.

derStandard.at: Es hat ? wie auch Sie in Ihrem Buch beschreiben ? eine Mäßigung in der Rhetorik gegeben, widerspricht diese dem Wesen der Rechtspopulisten?

Geden: Ja, eigentlich widerspricht sie dem. Was man als populistische Agitation bezeichnet, hat immer den Zweck, den Gegner oder 'die anderen' gegen sich aufzubringen, Empörung zu produzieren, um immer wieder darauf hinweisen zu können "Wir sind nicht so wie 'die anderen'". In der Regierung gelten natürlich ganz andere Maßstäbe dafür, was angemessen ist.

Durch die Maßnahmen der EU-14 stand man unter internationaler Beobachtung und sicherlich auch unter dem Druck der ÖVP sich ein wenig zurückzuhalten. Wenn man die Äußerungen der FPÖ analysiert, so hat man sich bis zur Aufhebung der diplomatischen Maßnahmen sehr zuückgenommen und sich im weiteren Verlauf der Regierungszeit gerade im Bereich der Einwanderungspolitik immer nur in bestimmten Phasen aus der Deckung getraut.

Zum ersten Mal war dies nach den Anschlägen vom 11. September der Fall, wo die gesamtgesellschaftliche Stimmung überall in Europa so war, dass offensiv Ängste gegenüber Migranten thematisiert wurden. Ein weiteres Mal zu beobachten war dies während des Nationalrats-Wahlkampfs 2002 zu beobachtern und später noch einmal während der Novellierung des Fremdenrechts während der zweiten Regierung Schüssel.

Das Problem ist natürlich, dass ihnen in gewisser Weise die Hände gebunden waren, weil sie das Innenministerium nicht hatten und sie schnell Probleme mit dem Koalitionspartner bekommen hätten. Nicht umsonst fordert Westenthaler jetzt eben diesen Posten.

Die ÖVP wiederum hat aber auch Positionen der FPÖ in der Ausländerpolitik übernommen. Es ist ja nicht so, dass die FPÖ in der Regierung überhaupt nichts durchgesetzt hätte.

derStandard.at: Ist die Teilung der FPÖ nicht eigentlich unter diesen Umständen eine logische Folge?

Geden: Im Grunde genommen ist es unter den Bedingungen in Österreich, aber auch in Deutschland, extrem schwierig, als rechtspopulistischer Akteur in einer Koalitionsregierung bei Wahlen politisch erfolgreich zu sein, in der man nicht den Kanzler stellt.

Im Grunde genommen war die Abspaltung des BZÖ eine organisatorische Konsequenz. Diejenigen, die in der Regierung bleiben wollten - sicherlich auch wegen der Gratifikationen, die es dort für die einzelnen gegeben hat - haben sich von der FPÖ getrennt, die seitdem de facto wieder in der Opposition ist.

Die Strache-FPÖ hat ja nach einer kurzen Phase der Konsolidierung sofort wieder damit angefangen, an die Strategien der 90er Jahre anzuknüpfen, mit dem Wiener Wahlkampf, aber auch dem Anti-EU-Volksbegehren, das genau die alten Muster wieder bedient hat.

Es ist schwer zu sagen, wohin dieser Weg für die FPÖ führen wird. Aber die Umfragewerte sehen so aus, als würde diese Strategie aufgehen und als hätte diese Trennung der FPÖ eher genutzt. Denn nun können sie sagen: "Die Kräfte, die uns unglaubwürdig gemacht haben, sind nicht mehr dabei. Wir sind fünf Jahre lang in der eigenen Partei unterdrückt worden und jetzt dürfen wir endlich wieder sagen, was wir schon immer gesagt haben".

derStandard.at: Eine Strategie des BZÖ schien zunächst darin zu bestehen, sich als gemäßigter, wenn nicht gar als liberal darzustellen. Wie glaubhaft ist das?

Geden: Das war direkt nach der Abspaltung kommunikativ die einzige Möglichkeit, um die Unterschiede zwischen BZÖ und FPÖ darzustellen. Das hat man ein Jahr lang versucht, aber gesehen, dass es nicht funktioniert, denn die Wahl- und Umfrageergebnisse waren verheerend.

Dies hat sich in den letzten Monaten deutlich verändert: Mit der Rückkehr von Westenthaler, mit der Wiederbelebung der Ortstafelfrage, bis hin zum Versuch, wieder das FPÖ-Blau und die Bezeichnung Freiheitliche zu verwenden, vor die FPÖ auf dem Stimmzettel gereiht zu werden.

Man sieht dies auch an den Forderungen von Westenthaler: Seine Kernforderungen überschneiden sich weitgehend mit jenen aus dem FPÖ-Wahlkampf 1999.

derStandard.at: Eigentlich könnte man sagen, dass der FPÖ 1999 nichts besseres hätte passieren können als eine Neuauflage der Großen Koalition, um dann eventuell später den ersten Platz zu erringen?

Geden: Wenn man das aus der Perspektive der FPÖ sieht, hätte sie besser draußen bleiben sollen.

derStandard.at: Hat "Drachentöter Schüssel" also doch gesiegt?

Geden: Auf der Organisationsebene hat die ÖVP die FPÖ in starke Turbulenzen gebracht, weil sie in der Regierung wesentlich geschickter agiert hat. Aber man darf natürlich nicht übersehen, dass dies nur die machtpolitische Ebene ist. Die Politik der Regierung hat die FPÖ bzw. das BZÖ ja sehr wohl inhaltlich beeinflusst - und das nicht nur in der Einwanderungs-, sondern auch in Feldern wie der Frauen- und Familienpolitik.