Von links nach rechts, also teilweise konträr zur politischen Ausrichtung, diskutierten am Montagabend: Ex-VP-Wirtschaftsminister Johannes Ditz, AK-Ökonomin Agnes Streissler, STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl, Ex-VP-Obmann Josef Taus und der frühere SP-Finanzminister Ferdinand Lacina.

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Eine zumindest rhetorische Renaissance erlebten Grundsätze marxistischen Denkens beim wirtschaftspolitisch ausgerichteten STANDARD-Montagsgespräch unter der Leitung von Chefredakteur Gerfried Sperl. "Was wird aus Österreichs Wirtschaft?", lautete die zentrale Frage im Wiener Haus der Musik. Für reges Publikumsinteresse sorgte ein mit drei Ex-Politikern und einer aktiven Interessensvertreterin prominent besetztes Podium. Abseits des täglichen Wahlkampfgetöses wurden relativ konsensual die Hausaufgaben für die nächste Legislaturperiode skizziert.

Die Ökonomin Agnes Streissler, Leiterin der Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Wien, rezensierte den Wirtschaftskammer-Slogan "Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut" als einen der "wesentlichen Kernsätze marxistischer Ideologie". Nur dürfe "Wirtschaft" nicht mit "Unternehmen" verwechselt werden, die Wirtschaft seien tatsächlich alle. "Dass etwas falsch läuft", zeige daher der Anstieg der Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent oder 80.000 Betroffene.

Taus: Maastrich-Abkommen "revisionsbedürftig"

Der frühere VP-Obmann und bekennende Großkoalitionär Josef Taus, der zu Beginn seinen Besuch bei Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner in Südfrankreich als einen Akt der Menschlichkeit und Freundschaft verteidigte, hielt ein sinngemäßes Zitat aus dem kommunistischen Manifest dagegen. "Die Bourgeoisie hat die größten wirtschaftlichen Expansionskräfte geschaffen, die es in der Geschichte je gegeben hat." Taus hält das Ungleichgewicht von Währungs- und Arbeitsmarktpolitik auf europäischer Ebene für einen "ganz schweren Fehler" und die "Wachstumsbremse" Maastricht-Abkommen für höchst "revisionsbedürftig".

Entscheidend das "Schicksal" Österreichs beeinflussen werde aber in den kommenden Jahren die Entwicklung der erweiterten EU, sagte Taus. Gelänge es, den notwendigen Aufholprozess im Osten – inklusive der "nicht schlimmen" Öffnung des Arbeitsmarktes – zu unterstützen, hätten "wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren auch eine gute Konjunktur in Westeuropa".

Der frühere VP-Wirtschaftsminister Johannes Ditz kritisierte in diesem Zusammenhang die "falsche Symbolik" des "kleinen Regierungspartners", gemeint war eigentlich: Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider. Ditz: "Wir müssen glaubwürdig gegenüber unseren Nachbarn sein. Mich stört die Ortstafelgeschichte, bei der man einsprachig sein will, obwohl es de facto die Grenze gar nicht mehr gibt und wir die besten Geschäfte machen. Das ist absurd."

Lacina fordert "mehr Standortpolitik"

Mehr als falsche Symbolik sah Ex-SP-Finanzminister Ferdinand Lacina in so manchen politischen Ansagen und zurückliegenden Entscheidungen von Schwarz-Blau-Orange. Lacina forderte ein, wieder "mehr Standortpolitik" zu machen und ideologische Scheuklappen abzubauen. Denn, frei nach Marx, sei "Ideologie etwas, wo Leute gegen ihre Interessen handeln, nur weil bestimmte ideologische Gesichtspunkte dafür sprechen". Dazu zählt Lacina beispielsweise die von der Wirtschaft beklatschte "kalte Abschaffung" der erfolgreichen Investitionsförderung.

Lacina hält es auch für einen "ganz furchtbaren Irrtum", wenn Finanzminister Karl-Heinz Grasser erkläre, Steuerpolitik sei keine Sozialpolitik. Angesichts der sehr schwachen Einkommensentwicklung und der "einäugigen" letzten Steuerreform sei es dringend geraten, die Negativsteuer für Kleinstverdiener auszubauen und den Einstieg in legale Beschäftigung auf der Seite der Sozialabgaben zu verbilligen.

Vorbild Skandinavien

Auch Streissler appellierte an den "wesentlichen Grundkonsens auch der Sozialpartnerschaft bis Ende der 90er-Jahre", wonach der in Österreich erarbeitete Wohlstand gerecht auf alle aufgeteilt werden müsse. Die AK-Expertin hofft auf nicht weniger als einen "Paradigmenwechsel" hin zu einer ganzheitlichen Wirtschaftspolitik nach skandinavischem Vorbild. Angebotsseitige Politik – Forschung, Entwicklung, Bildung, Infrastruktur – und nachfrageseitige Maßnahmen – Entlastung der niedrigen Einkommen und Ankurbeln des öffentlichen Konsums – gelte es zu zusammenzuführen.

Taus und Ditz wollen in den nächsten vier Jahren vor allem den Mittelstand entlastet wissen, wenn auch die soziale Abfederung der Armen beibehalten. Ditz sagte: "Ich will keinen Wirtschaftsaufschwung durch Sozialabbau."

"Die Reichen kümmern sich um sich selbst"

Vorrangig sei aber die seit 15 Jahren und länger nicht mehr stattgefundene Mittelstandsentlastung. Taus sagte: "Dass der Mittelstand seinen ordentlichen Anteil bekommt, ist ein alter Traum. Da geht jetzt was weiter. Jetzt kommt sogar der Kurt Beck drauf, der neue deutsche Sozi-Chef, dass da was getan werden muss."

Wenig bis gar nichts müsse man für die "Reichen" tun, ergänzte Taus. "Die kümmern sich um sich selbst." Ditz meinte sogar, dass zumindest im Bereich der Lohnsteuer für die "ganz Reichen eventuell zu niedrige" Steuersätze gelten. "Bei den höchsten Einkommen haben wir ja eine Flat Tax. Darunter ist die Progression sehr steil. Da muss etwas getan werden."

"Spielraum für Wachstumsstrategie vorhanden"

Lacina und Streissler warnten davor, Instrumente und Ziele in der Wirtschaftspolitik zu verwechseln. Ein bestimmtes Defizit zu erreichen, sei noch nicht Wirtschaftspolitik, sondern nur ein Ziel neben anderen. "Absurd ist das jetzige höhere Defzit in Zeiten guter Konjunktur und das Nulldefizit wird angepeilt in Zeiten absehbar niedrigeren Wachstums", sagte Lacina.

Einig waren sich die Diskutanten vor allem darin, dass Österreich eine klare Wachstumsstrategie und -politik brauche. Ditz sagte, durch die Privatisierungen und Deregulierungen der letzten Jahre sei wieder Spielraum vorhanden, auch im öffentlichen und halböffentlichen Bereich. In der E-Wirtschaft könne mit dem Verbundkonzern als Nukleus ein europäischer Player geschaffen werden. Auch die Post müsse nach dem Börsengang wieder investieren und nicht nur schrumpfen und Kosten senken. (Michael Bachner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.9.2006)