Foto: Tiger Lillies
"Berühmt sind wir nicht", sagt "Tiger Lillies"-Kopf Martyn Jacques. "Aber unsere Fans sind berühmte Leute." Welche Prominenzen sich zum Fankreis des britischen Trios zählen, sagt schon einiges über den Charakter ihrer Kunst aus: "Simpsons"-Vater Matt Groening, "Monty Python" Terry Gilliam und der Cartoonist und Schriftsteller Edward Gorey gehören dazu. Und mehr noch als bei den drei Eigenbrötlern ist es Jacques’ Triebfeder, die Menschen zu provozieren – oder, mit Jacques’ Worten, "herauszufordern".

Der Sänger, Akkordeonist, Songtexter und Komponist der "Tiger Lillies" erzeugt diese Provokation vor allem mit den transportierten Bildern. Sex mit Tieren, Witze über Vergewaltigungen oder ein Lob des Heroins: Jacques’ Texte sind nichts für Wertkonservative. Die makabre Überhöhung erfahren diese Botschaften durch das prägnante Falsett des Sängers und durch die Instrumentierung mit Harmonika, Drums, Bass, Piano und singender Säge.

Kindheit überm Bordell

Beides – Inhalt und Form – ist Ergebnis einer langen persönlichen Entwicklung Jacques’. Als Sohn eines Wäschereibesitzers wurde er vor 46 Jahren im südenglischen Slough geboren, wo er seine Kindheit in einer Wohnung über einem Bordell verbrachte. Das Zuhälter-Milieu, die Prostiuierten, Junkies und Straßennomaden sind auch heute zentrales Thema seiner Songs. Als zentralen Einfluss für die Ausprägung seines Stils nennt er die Weillschen Brecht-Vertonungen, aber auch die Musik der Zirkusmanege und der Roma. Seine ersten Gehversuche im Genre fanden auf den Straßen rund um Covent Garden statt, wo er TouristInnen mit seinen makabren Songs zu unterhalten versuchte – was meistens misslang. Parallel dazu arbeitete er mit langem Atem an dem, was heute sein Markenzeichen ist: eine Falsettstimme mit dem Charme eines todessehnsüchtigen Eunuchen, die immer wieder in knarrigen Bariton bricht.

Auf Vertonungen spezialisiert

Im Jahr 1989 gründete er mit Drummer Adrian Huge und Bassist Adrian Stout die "Tiger Lillies" – angeblich benannt nach einer Prostiuiertenbekanntschaft Jacques’. Neun Jahre später landete die Kombo ihren ersten, wenn auch immer einem reduzierten Publikum vorbehaltenen Erfolg: Die von Jacques textlich veränderte und musikalisch umgesetzte Version des "Struwwelpeters" von Heinrich Hoffmann mit dem Namen "Shockheaded Peter" fand – unter anderem bei seiner Aufführung im Rahmen der Wiener Festwochen 2001 – nicht nur großen Publikumsanklang, sondern gipfelte auch in einer Auszeichnung für Martyn Jacques’ Darstellung mit dem Laurence Olivier Award.

Es folgten weitere Vertonungsprojekte: Für "The Gorey End", die musikalische Umsetzung einiger Werke Edward Goreys in Kollaboration mit dem Kronos Quartet, wurden die Tiger Lillies gar für den Grammy nominiert. In Wien war Martyn Jacques zuletzt mit Alexander Hacke bei ihrer musikalischen Illustration einiger Geschichten von HP Lovecraft zu sehen. (red)