Tisch "Night Flight" von Sawaya & Moroni

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"Victoria Ghost" von Kartell

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Tisch "New antiques" von Cappellini

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Leuchter "Odile" von Barovier & Toso

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Wenn Truckies in Wim Wenders-Filmen durch die verschmierte Windschutzscheibe schauen, zersplittern die Bremslichter der Vordermänner oft in verhalten metallisch schillernder Manier. Das kann die matte Oberfläche des Kunststoffsessels "Dora", mit dem das Designer-Ehepaar Ludovica und Roberto Palomba aufwartet, auch ganz ohne Highway-Ölspur. Ton in Ton glänzen die Blütenmotive und liegen eine feine Psychedelic-Nuance neben der allzu bürgerlichen Anmutung von herkömmlichen Blumenmotiven - aber zugleich doch beruhigend weit vom verstörenden Funkenflug der Seventies entfernt. Grundseriös, als herkömmliche Sitzschale fällt schließlich die dazu gewählte Form aus.

Zanotta, der Hersteller dieses an sich mäßig auffälligen Möbels und seit jeher eine sichere Bank im Trend-Wettbetrieb des internationalen Lifestyle-Toto, ist damit auf der sicheren Seite. So wie Cappellini. Oder Kartell. Oder Moroso. Oder Sawaya & Moroni. Oder wie all die anderen, auf Avantgarde oder zumindest forcierte Salons-Szenerie getrimmten Möbel-Labels, die jedes für sich vielleicht eine eigene Designausrichtung repräsentieren - und zuletzt doch in erstaunlicher Uniformität einen Megatrend des Interior Designs auf Schiene hievten.

Hut ab vor historischen Zitaten. Inniges Schlummern mit dem schlingenden Schnörkel. Mut zum Muster, zur Tolle am Sofa, zur Plissee-Verwerfung im Glas, zur vegetabilen Gravur in der Corian-Platte - so mag man die jüngst erwachte Liebe zum Ornament umreißen, die heute Monochromes bunter und Kühles, sagen wir einmal, romantischer macht.

Geist des Historismus aus der Plastikwalze

Ausreißer und Aufholer, Firmen mit gelbem Ornamentik-Trikot und billig mitziehende Trittbrett-Sofasurfer gibt es rund ums Remake der ornamentalen Ästhetik allemal. Kartell, der italienische Kunststoffspezialist, mag etwa ein wenig früher mit der Trendwende befasst gewesen sein als andere. Schließlich hatte ausgerechnet der ewige Altvordere, nämlich Philippe Starck, bereits vor Jahren den Geist des Historismus aus der Plastikwalze gelassen und so auch auf die faden, aber eben auch moderesistenten Kuben jenes Sicherheits-Designs reagiert, das als Langzeit-Strategie gegen schwächelnde Kaufkraft zuletzt wesentliche formale Vorgaben formulierte.

"Victoria Ghost", Starcks jüngstes Mitglied einer im Louis XV-Stil, aber zugleich auch in kratzfestem Polykarbonat hingehauchten Produktfamilie, brachte dies zuletzt auf den Punkt. "Victoria Ghosts" transparente Plastik-Blässe konnte dabei am gelungenen Spagat zwischen historischer Stil-Referenz und zeitgemäßer Materialität nichts ändern. Und das ist zunächst einmal die gute Nachricht für Menschen, die über Möbel-Moden nicht nur lesen, sondern die auf der Höhe der Zeit gepflückten Dinger auch in ganz reale Interieur-Konzepte einpassen wollen.

Gut eingebettet, mit vielfältigen Berührungspunkten versehen, präsentieren sich die im neuen Ornamentik-Trend liegenden Entwürfe nämlich allemal. War bislang das schnell austauschbare Accessoire auf die Rolle abonniert, mit Minimaleinsatz eine expressive Blickfang-Optik zu bedienen, so finden sich die Möbel des neuen Stils inmitten von weitläufig abgesteckten Style-Koordinaten wieder. Soll heißen: Allein kommen die verschnörkelten Möbel keineswegs auf weiter Wohnzimmerflur daher. Vielmehr fügen sich die Protagonisten des neuen Stils nahtlos zu durchgängig inszenierten Stilwelten und stellen dabei lediglich Teile einer umfassenderen Entwicklung dar.

Den Post-Konsum-Kater vorwegnehmen

Das Comeback der Tapete, die neu entdeckte Liebe zum Patchwork-Entwurf mögen dafür Pate stehen. Ebenso wie die erhöhte Akzeptanz von Moden, die heute den Post-Konsum-Kater vorwegnehmen, sprich, die an die raue, zerfranste, eben keineswegs gelackte Seite des Alltags andocken - und damit bewusst gegen die weit verbreitete Glätte des Industrial Chic der klassischen Moderne intervenieren.

Genau hier fügen sich denn auch die häufig vegetabilen Vorbildern geschuldeten Tischplatten und mit Barockmuster überzogenen Kommoden in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. Denn der neue Stil, dem Trendforscher durchwegs eskapistische Motive, sprich, eine angesichts schwieriger Tage rückwärts gewandte Orientierung nachsagen, ist beides: Resultat modernster Herstellungs-Technologien, die vieles erst ermöglichen, aber auch Resultat großkalibriger gesellschaftlicher Trends - Fantasy-Style-Algen und modernste Fräser, Realitäts-flüchtige Dornröschen-Ranken und computergestützt entworfene und produzierte Formen spielen hier zusammen.

Genau dieser Tiefgang markiert zugleich auch den Reiz und die Stärke der so erfolgreichen Produkte, die in gewisser Weise eine Brücke zwischen gestern und morgen bilden. Daran erinnern neben dem Zugriff auf modernste Resultate der Materialforschung (gesinterte Keramik, gelasertes Acryl, CNC-bearbeitete Metallwerkstoffe) auch das Engagement tonangebender Entwerfer: Die Avantgardisten der neueren niederländischen Generation oder Spaniens Patricia Urqui- ola. Manches davon spiegelt sich freilich auch in der Namensgebung wider, mit der die neue Ornamentik zuweilen bedacht wurde: Hightech-Jugendstil und Biedermeier-Glam.

Neu und altbekannt zugleich wirkt der Zwischenstopp, den das Rad der Stilgeschichte hier einlegt. Der auf "gedrechselten" Stahlbeinen stehende "Bieder"-Tisch, ein weiteres Zanotta-Produkt, oder Tord Boontjes hyperaktive Blumendekore, die seinen in Glas oder Corian gelieferten "Oval Table" überwuchern, bieten sich so gesehen auch als Trostpflaster gegen die Wunden einer allzu kantig durchexerzierten Design-Vergangenheit an.
(Robert Haidinger/Der Standard/rondo/01/09/2006)