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In seiner Autobiografie "Mein letzter Seufzer" schreibt Luis Buñuel: "Diese amour fou zum Traum, diese Lust zu träumen - frei von jedem Versuch, diese Träume auch zu deuten -, gehört zu den tief sitzenden Neigungen, die mich zum Surrealismus gebracht haben." Die "Möglichkeit, die Tagträume einer jungen masochistischen Großbürgerin und einige Fälle sexueller Perversionen" in Bilder umzusetzen, habe ihn ebenfalls motiviert, den Roman "Belle de Jour" (1967) von Joseph Kessel zu verfilmen.

Alles beginnt mit der Kutschfahrt eines jungen Paares in einem wunderschönen Park. Der Mann, Jean Sorel, unternimmt zögerliche Annäherungsversuche, die die wunderschöne Séverine, Catherine Deneuve, kalt zurückweist. Brüskiert bringt daraufhin der Abgewiesene das Gefährt zum Stehen, zerrt Séverine aus der Kutsche durch ein Waldstück, in dem ihr, an einen Baum gefesselt, das Kleid zerrissen wird, wonach sie von den beiden Kutschern ausgepeitscht wird - natürlich, ohne dass dies Verletzungen hinterließe. Eine wohl folgende Vergewaltigung wird angedeutet. Die unglaubliche Sequenz endet mit einem Schnitt auf Séverine, die in ihrem (geteilten) Ehebett gelangweilt auf den Gatten wartet, der schließlich aus dem Badezimmer zu ihr kommt und nun eine Zurückweisung in der offensichtlichen Film-Realität hinnehmen muss.

Ein Freund des Paares, dargestellt von Michel Piccoli, scheint die sexuell angespannte Situation zwischen den beiden intuitiv zu erkennen und lässt bei einer Begegnung mit Séverine deutlich die Adresse eines Bordells fallen. Sie macht sich zum "Maison" der Madame Anaïs auf und verbringt fortan ihre Nachmittage dort als "Belle de Jour". Anfangs noch scheu, findet sie zunehmend Gefallen an den Begegnungen, und letztendlich scheint auch das eheliche Liebesleben dadurch in Schwung zu kommen.

Dem Zuschauer wird die Wunschebene Séverines in Bildern vorgeführt, als wären das Unbewusste bzw. die Tagträume im selben Maße realitätsstiftend für den Film wie die filmische Realitätsebene an sich. Man sieht das faszinierende Doppelspiel einer jungen Frau, die ihre geheimen Wünsche auslebt, sich dadurch scheinbar befreit, um am Ende von der "Realität" eingeholt zu werden, als das Spiel auffliegt. Doch auch das Ende bleibt doppeldeutig. Einmal bringt ein asiatischer Freier den Damen ein exotisches Kästchen, ein merkwürdiges Geräusch ertönt beim Öffnen, alle wenden sich verstört ab - außer Séverine. Es sei eine der ihm am häufigsten gestellten Fragen gewesen, was sich in dem Kästchen sei, so Buñuel: "Da ich es nicht weiß, kann ich nur antworten: 'Was sie wollen!'" (H. G. Pflaum / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.8.2006)