Die Schiffsglocke der "Wilhelm Gustloff" ging 1945 mit dem Schiff unter. 9000 deutschstämmige Flüchtlinge kamen bei dem Untergang ums Leben. Später wurde die Glocke von polnischen Tauchern geborgen.

Foto: Ausstellung
Berlin - Von den Abchasen bis zu den Zyprioten reicht die Liste der Völker, die im 20. Jahrhundert von Vertreibungen betroffen waren. Dazwischen finden sich Karelier und Italiener, Armenier und Juden, Polen und Deutsche.

Vor allem diese letzten beiden Völker tun sich mit der Erinnerung an die Vertreibungen immer noch schwer. Deswegen ist die aktuelle Ausstellung Erzwungene Wege, in der im Kronprinzenpalais gleich gegenüber dem Deutschen Historischen Museum in Berlin der vielfachen Formen von unfreiwilliger Migration gedacht wird, zu einem Politikum zwischen Berlin und Warschau geworden.

Leihgeber aus Polen stehen unter massivem Druck im eigenen Land, ihre Exponate zurückzufordern, nicht zuletzt, da die Ausstellung vom Bund der Vertriebenen organisiert wurde, der langfristig die Errichtung eines Museums der Vertreibung in Deutschland plant - Pläne, die in Polen wenig Freude hervorrufen. Teilweise ist daher die Rückforderung auch bereits geschehen, und nun steht auch noch das auffälligste Ausstellungsstück zur Disposition: Die knapp ein Meter hohe Schiffsglocke der "Wilhelm Gustloff" soll bis Ende August an die polnische Küstenwache zurückgegeben werden.

Sie erinnert an das Jahr 1945, als mehr als 9000 deutschstämmige Flüchtlinge in der Ostsee ums Leben kamen, nachdem die "Wilhelm Gustloff" durch ein sowjetisches U-Boot angegriffen worden war. Die Opfer dieses Unglücks stellten für die offizielle Geschichtspolitik lange Zeit ein Problem dar. "Mochte doch keiner was davon hören, hier im Westen nicht und im Osten schon gar nicht. Die 'Gustloff' und ihre verfluchte Geschichte waren jahrzehntelang tabu, gesamtdeutsch sozusagen", schreibt der Erzähler in der Novelle Im Krebsgang, mit der Günter Grass 2002 den Fall wieder in Erinnerung rief.

Politisch korrekt

Die Öffentlichkeit reagierte schon damals sehr kontrovers. Dass das Geständnis von Grass, als junger Mann in der Waffen-SS gedient zu haben, nun just auf das Wochenende der Eröffnung der Ausstellung Erzwungene Wege fiel, war reiner Zufall. Es gibt aber all jenen Kritikern Vorschub, die von vornherein skeptisch gegenüber einer derartigen Schau waren.

Zu nationalkonservativ hatten die Vertriebenenverbände lange Zeit nur auf die eigene Geschichte geblickt, zu undeutlich blieb ihre Position gegenüber den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland in Osteuropa. Ein ganzer Historikerstreit war um diese Problematik der Aufrechnung geführt worden, nun sollte er nicht wieder von vorn losgehen.

Mit äußerster politischer Korrektheit wird im Kronprinzenpalais aber ohnehin jegliche Anmutung vermieden, es ginge nur um Erzwungene Wege von Deutschen, die ihre Güter in Ostpreußen oder ihr Haus an der Wolga verloren haben. Das 20. Jahrhundert - und das erweist sich dann auch als Grundproblem der Ausstellung - war so bewegt, dass Vertreibungen als spezifisch "nationales" Phänomen (neben Genoziden, ethnischen Säuberungen, religiösen Konflikten, auch der Wirtschaftsmigration) nicht immer eindeutig zu bestimmen sind.

Die nähere Bestimmung wurde häufig von Gruppen vorgenommen, die ein nationales Interesse daraus erst gewannen, zumal nach der Teilung Europas in einen "freien" Westen und einen "Ostblock" hinter einem "Eisernen Vorhang". Die gegenwärtigen Animositäten zwischen Deutschland und Polen gehen immer noch auf den Vormarsch der Roten Armee 1944/45 zurück, während alle Gesten der Versöhnung, die es ja auch gab, derzeit an Wert verlieren.

Eine Ausstellung mit dem Thema Vertreibungen steht entweder vor der schwierigen Aufgabe, die Ideologisierung des Themas nach 1945 gleich mit zu behandeln, oder aber, das Phänomen so allgemein zu fassen, dass niemand daran Anstoß nehmen dürfte.

Im Kronprinzenpalais reicht das Spektrum tatsächlich von den Abchasen bis zu den Zyprioten, selbst die Mong in Myanmar werden nicht übersehen. Die Inszenierung setzt nicht auf Emotionalisierung. Nur wenige Gegenstände erinnern an die Nöte der Menschen: eine Schneemütze aus der Sowjetunion, ein Ölbild von den Trakehner-Pferden (einer berühmten Rasse aus Ostpreußen), ein paar Möbel aus einem Depot in Triest, in dem immer noch Besitztümer von Italienern lagern, die aus Istrien und Dalmatien vertrieben wurden.

Für einige Politiker in Polen ist diese Form des Gedenkens aber schon zu viel. Der ehemalige Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz sagte einen Besuch ab, weil er befürchten musste, dass seine politischen Gegner daraus Kapital schlagen könnten. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 8. 2006)