Florierendes Intellektuellencafé "Herrenhof" im Jahr 1937...

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...verstaubtes Mini-"Herrenhof" aus späteren Zeiten nach der Schließung

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An eine Wiederauferstehung ist nicht gedacht, die Rede ist von einem weiteren Hotel in dem Haus.

Wien – Wiens Traditionscafés teilen sich in jene auf, die es nach wie vor gibt, jene, die wiederauferstanden sind, und jene, die nur noch in Erinnerungen existieren – wobei auch so manches bestehende Etablissement in diese Kategorie passt, zum Beispiel nach Renovierungen.

An das Café Herrenhof in der Wiener Herrengasse 10 erinnert in der materiellen Welt derzeit nur der verstaubte Schriftzug oberhalb der Eingangstür. Der Betrieb in dem kleinen, Espresso-ähnlichen Lokal wurde am 30. Juni 2006 eingestellt – was auch dem allerletzten Ausläufer eines in der Vor-Nazizeit florierenden, durch Enteignung und Vertreibung der ursprünglichen Besitzer und Gäste zerstörten Intellektuellencafés den Garaus machte. Das Schicksal von Erstinhaber Béla Waldmann, der mit dem Geld aus dem Arisierungs-"Verkauf" die Ausreise und somit das Überleben von Sohn, Tochter und Schwiegersohn finanzieren musste, kann hier als repräsentativ gelten.

Vor 1938 war "das Herrenhof" einer der Treffpunkte der oftmals jüdischen Literaten und unkonventionellen Denker wie Alfred Polgar, Joseph Roth, Robert Musil oder Friedrich Torberg gewesen. Ein Ort, in dem – um den Journalisten und Essayisten Anton Kuh zu zitieren – "statt der Zeitung die Zeitschrift nistete, statt der Psychologie die Psychoanalyse und statt des Espritlüftchens von Wien der Sturm von Prag wehte".

Geschrumpftes Café

Freilich auch auf unvergleichlich mehr Platz als im späteren, auf 60 Quadratmeter geschrumpften Mini-"Herrenhof", das 1967, nach gescheiterten Wiederbelebungsversuchen, Hausverkauf und der Renovierung der Liegenschaft durch die Wirtschaftskammer Niederösterreich (WKNÖ) eröffnet wurde: Die Lokalität, die Waldmann am 24. Dezember 1914 erworben hatte, umfasste 750 Quadratmeter.

Sie nahm fast die ganze Vorderfront des Hauses Herrengasse 10 ein, die sich jetzt eine Hypobank mit den staubigen Auslagenfenstern der früheren WKNÖ-Zentrale teilt. Diese ist ebenfalls Ende Juni 2006 nach St. Pölten übersiedelt, nachdem die gesamte Liegenschaft ein Jahr davor um 24 Millionen Euro an die Amisola Immobilien AG des Billa-Gründers Karl Wlaschek verkauft worden war.

Gerüchten zufolge soll in das Haus bald eine weitere internationale Hotelkette einziehen. Da der Name "Café Herrenhof" rechtlich mit der Liegenschaft verbunden ist, sei daran gedacht, dem Hotelrestaurant diese Bezeichnung zu verpassen. Eine Café-Revitalisierung sei nicht geplant.

Auch das kleine Nachkriegslokal werde eine Lücke hinterlassen, erläutert einer seiner beiden letzten Inhaber, Norbert Berka, der jetzt das Café Palffy im gleichnamigen Palais betreibt. Ältere Wien-Touristen, die auf der Suche nach dem Herrenhof-Original "mehrmals pro Monat" aufgetaucht seien, hätten jetzt keinen Ort zum Andocken mehr. Auch wenn die Touristen "oft enttäuscht" gewesen seien. (Irene Brickner, DER STANDARD-Printausgabe, 18.08.2006)