Andreas Felber:
"Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde: Revolution im Hinterzimmer". € 55,-/512 Seiten. Böhlau, Wien 2005

Buchcover: Böhlau
Es ist das graue, abgestumpfte Nachkriegswien, das beim Lesen vor dem inneren Auge auftaucht. Und darin ein paar jugendliche "Spinner", die inmitten der Boogie and Blues Szene um Fatty George "anders" spielen wollten. Walter Mali und Fritz Nowotny, diesen beiden zentralen Figuren des Europäischen Free Jazz, wurde erstmals eine umfassende, akribische Arbeit gewidmet.

Wien als einer der Geburtsstätten des Free Jazz in Europa, stark beeinflusst vom regen musikalischen Treiben in Graz, widmet sich der Autor und Musikjournalist Andreas Felber in seiner als Buch vorliegenden Dissertation. Er spannt den Bogen von der ersten Begegnung zwischen Walter Malli und seinem späteren Freund Richard Pechoc beim Kunststudium 1956 bis hin zur Wiederentdeckung der von Mali in den 60er- Jahren gegründeten Formation Masters of Unorthodox Jazz (MoUJ) und Nowotnys Reform Art Unit (RAU) in den 90ern.

Spannend für den Leser sind weniger die etwas langatmigen musikwissenschaftlichen Ausführungen, sondern die im Dunstkreis des Underground blubbernden soziologischen Begleiterscheinungen. Free Jazz war Subkultur, und seine Protagonisten wurden - und werden - von der Musikpresse und vom Mainstream diskriminiert. Heute schwer vorstellbar erscheint, dass MoUJ-Bassist Anton Michlmayr wegen seiner Free-Jazz-Aktivitäten beinahe sämtliche Jobs in "seriösen" Jazz-Ensembles verloren hätte. Felber beschreibt die musikalischen Wurzeln und wirft auch die Frage auf, ob das Treiben von MoUJ und RAU jemals bewusstes Musizieren war.

Die mit Mali und Nowotny geführten Gespräche streifen an das Klischee des aufbegehrenden Sonderlings mehr als nur an. Das etwas Verschrobene, Schrullige wird etwa am Experimentieren mit anderen Glaubensphilosophien eines Walter Malli sichtbar. Als "Muhammed Mali" gründete er die Galerie zum Roten Apfel. Ihrem Stellenwert als Brutstätte experimenteller Kunst sowie dem legendären Forum Stadtpark wird ein Kapitel gewidmet. Ein Standardwerk, das die Wichtigkeit von Ort, Zeit und Umständen für die Entwicklung des Phänomens Free Jazz aufzeigt. Die Grenzen der Musik werden zugunsten von MoUJ und RAU ausgelotet. Über Felbers Vorliebe für Füllwörter und unnötig komplizierte Satzgebilde gehen die Zusammenhänge leider stellenweise verloren. (Denise Riedlinger/ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.8.2006)