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Politik und Alkohol bilden ein enges und gefährliches Verhältnis

Foto: APA/Oczeret
Wer seine Sucht nicht im Griff hat, ist rücktrittsreif.

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Herr Rudi arbeitet seit Jahren in der Parlamentskantine, die früher auch Milchbar genannt wurde. Milch gab und gibt es hier nach wie vor, wenn auch nur in Kombination mit Kaffee. Aber nicht nur. "Herr Rudi, wann werden denn bei Ihnen die ersten Achterln oder Seidel bestellt?" Er gibt ein verschmitztes Lächeln als Antwort und eine Ausrede, wie sie nur der Wiener Kellnerschmäh zustande bringt: "Wissen S', ich bin den ersten Tag hier. Ich kenn mich noch nicht so aus."

Wer den Gang zwischen den zwei langen Tischreihen passiert, sieht spätestens um elf Uhr am Vormittag, womit Herr Rudi sich nicht so recht auskennen will: Anders als in anderen Betriebsrestaurants Österreichs, in denen Alkoholisches erst gar nicht ausgeschenkt wird, bestellen die Parlamentsarbeiter gerne bereits am frühen Vormittag ihr erstes Seidel. Abends, nach einem langem Plenartag, kann in der klimatisierten Halle auch schon einmal Stammtischstimmung aufkommen.

Das Bechern während der Arbeitszeit hat den Sanktus von ganz oben: "Wir sind ja keine Kindermädchen", meint der sonst eher gestrenge Parlamentshausherr, Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP), "Alkohol ist Teil unseres Kulturverhaltens." Nachsatz: "Die Dosis macht das Gift. Zwei Glas Rotwein am Abend sind sogar ärztlich empfohlen."

Enges und gefährliches Verhältnis

Natürlich gab es immer wieder einmal Anläufe, die Promille aus dem Hohen Haus zu verbannen, zuletzt vom Liberalen Forum vor neun Jahren. Er blieb folgenlos - und die Liberalen sind inzwischen auch Geschichte.

Politik und Alkohol - das ist ein enges und gefährliches Verhältnis. Bei kaum einer anderen Berufsgruppe gehört das Gesellschaftstrinken so sehr zum Anforderungsprofil wie bei den Volksvertretern. Egal, ob bei dörflichen Kreisverkehreröffnungen, diplomatischen Empfängen oder der vertrauten Besprechung nach der Gremiensitzung: Auf den Händedruck folgt der Begrüßungstrunk. Wer nicht anstößt, gilt schnell als unnahbar - und damit chancenlos am Markt der politischen Eitelkeiten.

Entlastungssuff

Wie kaum eine andere Berufsgruppe stehen Politiker aber auch unter Druck - öffentlichem wie hausgemachtem. Der Höflichkeitsschluck kann schnell zum Entlastungssuff werden. "Servierte Gefahr" nennt das der grüne Abgeordnete Kurt Grünewald, im Zivilberuf Mediziner. "Die innerparteiliche Konkurrenz verhindert, dass Politiker offen miteinander umgehen. Also frisst jeder seinen Frust in sich hinein." Oder ertränkt ihn eben.

Bis zuletzt galt Alkoholkonsum nicht einmal als Kavaliersdelikt, sondern als normale Nebenwirkung des Politikerdaseins. Spätestens seit dem Jahr 2002 hat sich der unausgesprochene Kodex geändert, und das hängt vor allem, aber nicht nur, mit dem Namen zweier ehemaliger Abgeordneter zusammen: Anton Leikam (SPÖ) und Reinhart Gaugg (FPÖ).

"Nationalratsabgeordneter im Dienst"

Binnen drei Monaten wurden beide von ihren Parteien zum Rücktritt gezwungen, weil sie betrunken am Steuer erwischt wurden. Leikam war mit seinem BMW 320 auf der Friesacher Bundesstraße gegen eine Leitplanke geprallt - mit zwei Promille im Blut. Gaugg geriet in Klagenfurt in eine Verkehrskontrolle und verweigerte lallend den Alkotest - übrigens mit der putzigen Begründung, er sei "Nationalratsabgeordneter im Dienst". Im Gegensatz zu Leikam ließ sich Gaugg - inzwischen gerichtlich erstinstanzlich bestätigt - seinen Abschiedsschmerz von der FPÖ mit einer Art finanziellen Trostpflasters in der Höhe von 352.500 Euro lindern. Leikam konnte nur wehleidig über die "Gefühlskälte" Alfred Gusenbauers klagen.

Den zweiten Anstoß für neue politische Trinksitten gaben die Frauen. Abgeordnete aller Parteien protestierten vor drei Jahren gegen torkelnde Kollegen, kleinere und größere Fahnen und alkoholgeschwängerte Bemerkungen zu jenen Stunden, wenn die Übertragungskameras des ORF längst abgeschaltet waren. Auch das sorgte dafür, dass der gepflegte Parlamentsrausch, bislang - unter Herren - toleriert, inzwischen verpönt ist. Als etwa der ÖVP-Abgeordnete Vincenz Liechtenstein Ende vergangenen Jahres im Rechnungshofausschuss auffällig unkonzentriert wirkte, war die Empörung groß. Der adelige Schlossherr rettete sich, indem er angab, starke Medikamente gegen Rückenschmerzen genommen zu haben, die ihn benebelt hätten. "Frauen verbessern den Ton", meint Khol. "Lallende Abgeordnete sehe ich keine mehr", sagt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos, "da hat sich viel verändert."

Sekundenschlaf

Der Burgenländer ist noch mit einer ganz anderen Trinkkultur politisch groß geworden. Ihm hatte sein damaliger Chef Karl Stix noch prophezeit: "Wenn du keinen Wein trinkst, wirst du es in der Partei zu nichts bringen." Der Arbeitstag nach Stix'schem Verständnis begann um halb acht und endete nach Mitternacht auf irgendeinem Feuerwehrfest - oder im Krankenhaus. 1999 kam der damalige burgenländische Landeshauptmann um zwei Uhr früh mit seinem Auto von der Straße ab. Zuvor hatte er ein Finanzministertreffen, einen Besuch bei den Seefestspielen Mörbisch und eine Schifffahrt nach Illmitz absolviert. Offizielle Unfallursache: Sekundenschlaf.

"Es ist schwer, nicht zu viel zu trinken", gesteht auch Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, der im Sommer durch den Festreigen der Wörthersee-Schickeria tingelt. Wenn dann auch noch politischer Stress dazukomme, ist "die Gefahr, dass man man zu Alkohol greift, groß. Politiker sind Workaholics - mit wenigen Ausnahmen, die es sich leisten können, auf Yachten zu urlauben." Haider sucht seinen Ausgleich im Sport.

Anti-Mundschenk

Andere tricksen ein bisschen. ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka, der auch lieber laufen als trinken geht, um abzuschalten, hat etwa die Erfahrung gemacht, dass niemand einem Landespolitiker gram ist, wenn er das Weinglas nur erhebt, aber nicht austrinkt. Es zählt die gesellschaftliche Prost-Geste als vermeintlichen Ausdruck österreichischer Gemütlichkeit. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hatte sogar einen eigenen Anti-Mundschenk. Sein Sekretär Peter Kozel war zehn Jahre unter anderem dafür zuständig, die in die Hand gedrückten Gläser elegant verschwinden zu lassen. Kozel, inzwischen Leiter des Wiener Bürgerservices: "Auch ein Bürgermeister kann Nein sagen, speziell in den Vormittagsstunden."

Die Zeiten, als in der SPÖ der Arbeiter-Abstinentenbund den Trinkton angab, sind jedenfalls vorbei. Bruno Pittermann etwa trank, solange er SPÖ-Vorsitzender (1957-1967) war, keinen Tropfen, erinnert sich seine Tochter Elisabeth, selbst bekennende Promilleverweigerin. Abstinent bleibt man als Roter nur für Wahlkampffotos. Bei der ÖVP nimmt man es lockerer. Lopatka: "Ich hab kein Problem, wenn der Bundeskanzler mit einem Glas Bier abgebildet wird. Je authentischer, desto besser." Seitenhieb auf den bekennenden Önologen Gusenbauer: "Das Problem mit dem Château Mouton Rothschild Jahrgang 1945 haben wir ja zum Glück nicht."

Wolfgang Schüssel ist dafür ein Fan des so genannten "Herrengedecks": Er löscht seinen Durst gerne mit einem Pfiff Bier und einem Stamperl Schnaps. (Von Barbara Tóth /DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2006)