Unerwartet wenig Aufregung um das Urteil, demzufolge Deutschland Schadenersatzpflicht beim Flugzeugunglück von Überlingen hat: Die deutsche Bundesregierung äußerte sich vorerst gar nicht, die mitbetroffene Flugsicherung Skyguide ist mit dem Urteil zufrieden.

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Zürich/Berlin - Es geht nicht nur um Millionen Euro, sondern auch um eine mangelhafte Zuweisung von Verantwortung, die jederzeit wieder zu Problemen führen kann: Das Landgericht Konstanz hatte am Donnerstag entschieden, dass Deutschland für Fehler der Schweizer Flugaufsicht Skyguide haften soll. Diese Fehler haben vor vier Jahren zum Zusammenstoß einer russischen Passagiermaschine mit einem deutschen Frachtflugzeug über dem Bodensee geführt, 71 Menschen, hauptsächlich Schüler auf Ferienreise, wurden dadurch getötet.

Der vorsitzende Richter rechnet allerdings nach eigenen Worten damit, dass dieses erste Urteil angefochten und vor einer höheren Instanz neu verhandelt wird. Ähnliches scheint die Bundesregierung zu denken, denn sie äußerte sich vorerst überhaupt nicht dazu. Man warte, bis das Urteil schriftlich zugestellt sei.

Skyguide-Sprecher Patrick Herr zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Es brauche ein juristisches Fundament für die Arbeit von Skyguide für andere Länder.

Fehlender Vertrag

Diese Aussage bezieht sich auf eine diffizile Situation, die auch dem Konstanzer Richter Begründung für sein Urteil war. Demnach haben zwar schwer wiegende Fehler bei Skyguide zu diesem Unglück geführt. Weil Deutschland die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung in grenznahen süddeutschen Gebieten aber an die Schweiz abgetreten hat, ohne unter anderem die Haftung in einem völkerrechtlich verbindlichen Staatsvertrag explizit zu regeln, haftet nun die Bundesrepublik für Fehler, die in der Schweiz begangen wurden.

Das Zustandekommen dieses Staatsvertrags ist bisher unter anderem an den unterschiedlichen Auffassungen über Anflugregelungen für den Zürcher Flughafen gescheitert. Zum Leidwesen der dortigen Bevölkerung wird sehr viel über deutschem Boden angeflogen.

Neben der zivilrechtlichen Aufarbeitung der Katastrophe kümmert sich die Staatsanwaltschaft in Konstanz um die strafrechtlichen Folgen: Sie ermittelt seit mehr als drei Jahren gegen acht Mitarbeiter der Firma Skyguide wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Luftverkehrs. Im Jänner 2005 hatten die Staatsanwaltschaften in Konstanz und in Winterthur ein Gutachten in Auftrag gegeben, das mittlerweile vorliegt. Untersucht wird darin zum Beispiel, wie eine private Firma ihren Kontrollraum zur Überwachung des Luftraums organisieren muss.

Im August will die Staatsanwaltschaft über die Anklage entscheiden und darüber, ob das Verfahren eventuell von einem Schweizer Gericht geführt wird. (Jan Dirk Herbermann/Oliver Stock, DER STANDARD - Printausgabe, 29./30. Juli 2006)