"Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbey", kühlt schon Goethes Eleonore den Übermut ihres G(g)eliebten Tasso.
Ähnlich nüchtern (nur oh-ne "y") ist das "vorbei", das am 1. August 2006 dem goldenen Zeitalter der alten Rechtschreibung winkt: Von diesem Tag an gilt endgültig die Schreibweise der seit März abgeschlossenen Rechtschreibreform. In Österreich, in Deutschland und in der Schweiz.
Sie gilt - aber für wen? Nur Schüler, Lehrer und Beamte sind verpflichtet, ihre Texte gemäß der neuen, nun erneut veränderten Regeln zu verfassen.
Für alle anderen - Verlage von Büchern und Printmedien eingeschlossen - herrscht das Gebot der freien Wahl. Erlaubt ist - Tassos heimlicher Triumph - "was gefällt". Und der Varianten (siehe Grafik unten)sind viele. Selbst innerhalb der reformierten Reform der Reform. Eine "Tendenz in Richtung Variantenschreibung"sieht denn auch Heidrun Strohmeyer, zuständige Sektionschefin im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst in dem neuen Regelkanon bekräftigt.
Verloren geht also mit der Letztfassung der Rechtschreibreform eine einheitliche Schreibweise der deutschen Sprache. Eine solche wird und kann es vorerst nicht mehr geben. Ob "sitzen bleiben"oder "sitzenbleiben", ob "Mayonnaise"oder "Majonäse": Das offizielle Regelwerk beschränkt sich künftig nicht mehr auf eine einzige Variante, sondern erlaubt, das ist neu, deren mehrere.
Boutique=Butike
Mitunter in Abhängigkeit von inhaltlichen Unterscheidungen - das Sitzenbleiben in der Schule zwingt nicht, auch auf dem Sessel sitzen zu bleiben - mitunter aber auch völlig frei: Ob der Kleiderkauf in einer Boutique oder doch in der Butike geschieht, das entscheidet, wie den Kauf selbst, der persönliche Geschmack - und die Kenntnis der französischen Wurzeln des Worts.
Was es zu lernen gilt, ist der sinnvolle Umgang mit der gewonnenen Freiheit - das gilt nicht zuletzt für die Schüler.
Ohnehin waren es nur die strittigsten Fälle der Rechtschreibreform von 1996, die der 36-köpfige Rat für deutsche Rechtschreibung, in dem Österreich mit 9 Mitgliedern vertreten war, nun korrigiert hat: Alle anderen Neuheiten traten bereits vor einem Jahr, am 1. August 2005, verbindlich in Kraft. Lediglich Fragen der Zusammen- und Getrenntschreibung, der Groß- und Kleinschreibung und der Beistrichsetzung wurden erneut modifiziert.