Das Hirn eines Kleinkindes: Lange Zeit nimmt es verschiedene Kategorien in noch nicht vernetzten Regionen isoliert wahr.

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Diese scheinbar einfache Leistung ist nur durch einen großen kognitiven Entwicklungssprung des Gehirns möglich.

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Salzburg - Ist dies süße Ding nun ein Apfel oder etwas Rotes - oder gar ein roter Apfel?

So absurd diese Frage für Erwachsene klingt, so unüberwindbar ist die kognitive Hürde, vor der kleine Kinder stehen - so sie eine Antwort darauf geben sollen. Zu dieser Erkenntnis gelangte Psychologin Daniela Kloo von der Uni Salzburg nach einer Studie über kognitive Fähigkeiten.

Vor ihrem vierten Lebensjahr können Kinder Objekte zwar schon gut klassifizieren: Sie sortieren Objekte wie eben rote Äpfel entweder nach Farbe oder Form. Aber wurde die Frucht erstmal als Apfel eingeordnet, ist das Objekt für die Kinder endgültig klassifiziert. Diesen Apfel auch noch als rot zu sehen, ist nicht nötig - und auch gar nicht möglich.

Umgekehrt verhält es sich genauso: Wird die Frucht als etwas Rotes erkennt und klassifiziert, braucht sie kein Apfel mehr zu sein. Denn um zu verstehen, dass ein Objekt beides gleichzeitig sein kann, bedarf es eines kognitiven Entwicklungssprunges - einen solchen macht das Hirn erst im Alter von etwa vier Jahren.

Herausgefunden hat das Kloo durch Versuche mit Spielkarten, auf denen ein roter Kreis, ein farbloser oder ein roter Apfel abgebildet waren.

Die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Objekt je nach Perspektive unterschiedlich beschrieben werden kann, bedeutet jedoch auch in späteren Jahren noch eine kognitive Anstrengung: In früheren Studien sollten Erwachsene einen roten Apfel abwechselnd nach Farbe oder Form einordnen. Dabei machten sie zwar kaum Zuordnungsfehler, reagierten aber langsamer, wenn sie ein neues Sortierkriterium verwenden sollten.

Kloos Studien ergänzen Erkenntnisse von US-Forschern, die heraus fanden, warum kleine Kinder im Alter von bis zu zwei Jahren Größen falsch einschätzen. In Versuchen gaben sie den Kindern beispielsweise sehr große Plastikautos und ließen sie damit werken. Dann, in Absenz der Kinder, wurden diese gegen viel kleinere Spielzeugautos ausgetauscht. Und siehe da: Die Hälfte der Kinder wollte, wie zuvor auch, in diese Autos einsteigen, obwohl sie maximal ihre Füßlein hineinbrachten.

Grund für dieses Verhalten: Eine Hirnregion erkennt ein Objekt und entscheidet, was damit gemacht werden kann, eine andere ist für die Größenerkennung zuständig. Bei kleinen Kindern ist der Informationsaustausch zwischen diesen beiden Regionen noch unzureichend. Eine ähnliche Erklärung könnte auf das Problem des roten Apfels zutreffen: eine allmähliche Entwicklung von neuronalen Netzen.

Für Kloo deuten die Ergebnisse sogar an, dass erst mit etwa vier Jahren die Voraussetzungen für Verhalten wie Empathie, Respekt und damit Toleranz geschaffen werden - Verhaltensweisen, die stark vernetzte Denk- und Gedächtnisstrukturen erfordern. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30. 7. 2006)