Gerald Teschl

Foto: DER STANDARD/ www.mat.univie.ac.at/~gerald/
Der junge Ingenieur John Scott Russell aus Glasgow nahm um 1834 einen Job bei der Union Canal Company an. Seine Aufgabe: schnelle dampfbetriebene Passagierboote zu entwickeln. Rasch fand er heraus, dass eine große Bugwelle diese verlangsamt. Als er bei einem seiner Tests am Kanal entlangritt, blieb ein Boot direkt vor ihm stehen. Aber die Welle, die es eben noch vor sich hergeschoben hatte, bewegte sich mit unveränderter Form weiter.

Russell gab dem Pferd die Sporen und jagte die Wassermassen mehr als eine Meile, bis sie endlich langsamer wurden. Er wusste, dass Bernoulli und Newton exakt beschrieben hatten, wie Wellen wandern und sich auflösen. Doch diese folgte definitiv keiner der Regeln: Sie lief einfach weiter. Aus seinen Beobachtungen leitete er ab, dass sich das Brechen und Auslaufen von Wellen die Waage halten können und so zu Solitonen führen, die sich ohne Veränderung ihrer Form ausbreiten.

In der seither beinahe zwei Jahrhunderte andauernden Reihe von Forschern beschäftigt sich der diesjährige START-Preisträger Gerald Teschl an vorderster Front mit Wellenphänomenen. An der Mathematischen Fakultät der Universität Wien versucht er zu verstehen, "wie sich Wellen zum Beispiel in Glasfaserkabeln ausbreiten". Denn sowohl das Zerlaufen als auch das Brechen von Wellen und natürlich Solitonen lassen sich durch Gleichungen beschreiben.

Sein Werkzeug ist die Spektralanalysis. Sie wurde in der Quantenmechanik entwickelt, um Spektren (Frequenzen der elektromagnetischen Wellen die von Atomen und Molekülen ausgehen) zu beschreiben.

Wichtig sind die Dauerläufer bei der Datenübertragung in Glasfaserkabeln. In den Lichtwellenleitern können mithilfe von Solitonen je nach Entfernung Übertragungsraten von bis zu zehn Terabit pro Sekunde erreicht werden "Ich versuche die Ausbreitung von Solitonen auf einer Trägerwelle zu verstehen. Dabei passieren Phänomene, die weit gehend unerforscht sind und deren Beschreibung Wissen aus verschiedenen mathematischen Disziplinen erfordert."

Ideale Schnittmenge

Er selbst hat sich mit seinem Studium der Technischen Physik an der TU Graz und dem Doktorat in Mathematik an der University of Missouri in Columbia, USA, genau in die Schnittmenge der beiden Fächer begeben.

1996 ging der Grazer als Post-Doc an die RWTH Aachen (Deutschland), zwei Jahre später habilitierte er sich an der Universität Wien. Hier schätzt er das fruchtbare Umfeld des Erwin-Schrödinger-Instituts für mathematische Physik. Der START-Preis ist für den 1970 Geborenen die "finanzielle Grundlage, um verschiedene Forschungsvorhaben mit internationalen Kooperationspartnern in die Tat umzusetzen". Er bietet neue Möglichkeiten und bedeutet zugleich Verantwortung bei der Ausbildung exzellenter junger Mitarbeiter.

Einen guten Mathematiker macht für Teschl "Kreativität, Spaß am Problemlösen und die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen"aus. In der Schule schrieb er gerne Computerprogramme. Seine Physikmatura verfasste er über die Funktionsweise von Computern. Heute unterrichtet er selbst Lehramtskandidaten in Informatik, und seine Vorlesungen in Mathematik umfassen Themen von der "Einführung ins Chaos bis zur mathematischen Behandlung der Quantenmechanik".

Bis heute fasziniert ihn "die Herausforderung, Probleme zu lösen, dabei neue Methoden zu lernen und kreative Ideen zu haben". Ergo verbringt er auch seine freie Zeit mit Mathematik (ein Hobby, das er mit seiner Frau teilt) und dem neun Monate alten Sohn. Daneben ist er gern in der Natur: im Sommer wandernd, im Winter snowboardend. (Astrid Kuffner /DER STANDARD, Printausgabe, 26. Juli 2006)