Befindlichkeits-Performances wie die von Antony Rizzi in "The Role I Should Have Done" wirken heute als Komödie der Eitelkeit aus vergangener Zeit.

Foto: ImPulsTanz/Rizzi

Hooman Sharifi beschäftigt sich in seiner jüngsten Arbeit "we failed to hold this reality in mind" mit seinem Herkunftsland, Iran.

Foto: ImPulsTanz/Sharifi
Wien – Hooman Sharifi ist ein kritischer Kopf, ein Choreograf und Tänzer, dessen Stücke tief unter den politischen Spannungen zwischen Orient und Okzident verankert sind. In seiner jüngsten Arbeit "we failed to hold this reality in mind", die gerade bei ImPulsTanz im Schauspielhaus zu sehen war, beschäftigt er sich mit seinem Herkunftsland, Iran. Der heute 33-Jährige kam mit 15 Jahren nach Norwegen. 1994 begann er dort Ballett und Modern Dance zu lernen. 2000 schloss er seine Choreografieausbildung ab, gründete eine eigene Company und machte sich in der europäischen Szene einen Namen. Das von ihm mit seinem massigen Körper selbst getanzte Solo "we failed to hold this reality in mind" gehört in der aktuellen politischen Situation im Nahen Osten sicher zu den berührendsten Werken des Festivals.

Die Lasten der persönlichen Erinnerung an Iran und der Wahrnehmung der Ereignisse der Gegenwart machen das Stück zu einer Zerreißprobe. Sharifis Leib ist in Aufruhr. Oberkörper und Kopf werden – zu schöner alter persischer Instrumental- und Vokalmusik – immer wieder gebeugt, zum Boden hin gedrückt. Aus der Bühne dominiert Halbdunkel, der Zuschauerraum gerät wiederholt in gleißende Lichtbäder.

Sharifi sieht sich seine Beobachter genau an. Wie bei Maguy Marin ist dieser Blick in den Publikumsraum, der auch affektiert wirken und dann daneben gehen kann, plausibel. Es ist ein Blick, der sagt: Nicht das Kunsterlebnis selbst ist wichtig, sondern nur, was der Zuschauer daraus macht. Das Publikum ist also wichtiger als die Kunst. Gerade die seltene Erscheinung eines so gewichtigen Körpers im Tanz wie jene Sharifis unterstützt den Künstler bei der Rücknahme seiner selbst.

Auf die inhaltliche Thematik weist eine großformatige Publikation mit Bildern und Zitaten hin, die jeder Besucher mit seiner Eintrittskarte bekommt.

Neben einer Arbeit wie dieser wirkt dann eine Komödie der Eitelkeit wie "The Role I Should Have Done" (im Kasino am Schwarzenbergplatz) von Antony Rizzi wie der gescheiterte Egotrip eines dummen August.

Rizzi ist laut und hektisch, aber nie wirklich humorvoll. Der ehemalige Forsythetänzer ist immer dann besonders schwach, wenn er sich selbst inszeniert. Bei ImPulsTanz teilt er sich diese Schwäche mit dem jungen New Yorker Miguel Gutierrez, der sich am Beginn der Jungchoreografen-Reihe [8:tension] im Schauspielhaus als "Retrospective Exhibitionist" eine ausgedehnte Schreitherapie gönnte.

Als, wenn auch stummer, Aufschrei ließ sich auch das Solo "Jours Blancs" der Wienerin Saskia Hölbling lesen, das bei ImPulsTanz im Kasino zur Uraufführung kam. Ein in sich unbehauster Frauenkörper schleppte sein Publikum eine Stunde lang durch ein nicht näher erkennbares Problem. Es wäre leicht, die Arbeiten von Rizzi, Gutierrez und Hölbling als prätentiös abzutun. Doch sie stehen, trotz ihrer ästhetischen Verschiedenheit, gleichermaßen für das Phänomen, dass sich Bekenntnis- oder Befindlichkeitsperformance heute schwer tut. Trotz immensen Einsatzes bleibt Rizzis Stück leer, trotz cleverer Referenzakrobatik lässt Gutierrez den Blick kalt und trotz ihres ausgestellten Pathos berührt Hölblings Figur nicht im mindesten.

Sharifis poetische Figur, als Selbst gesetzt, ist tatsächlich, um Paul Ricoeur zu paraphrasieren, "ein Anderer". Einer nämlich, der überzeugt. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 25.7.2006)