Der Container sieht aus, als wäre er einfach, was er ist und daher leicht zu entschlüsseln. Am Dach das Transparent: Ausländer raus. Und schon haben wir ein Denkmal unserer eigenen Schande hergestellt bekommen. Es wird jeden Tag den Leuten gezeigt, damit auf uns auch deutlich angeschrieben steht (als wüsste es inzwischen nicht jeder), was wir sind, wenn wir partout etwas anderes nicht gewesen sein wollen.

Jeder weiß also von uns, was wir sind, in ganz Europa, und Europa hat auch schon darauf geantwortet, wir haben es aber ohnedies schon vorher gewusst. Und wir haben das auch schon oft gesagt, zumindest die Künstler unter uns.

Da ist also das Schild aufgepflanzt, hoch dort droben auf dem Container, in dem die Menschen gesammelt sind, um weggeworfen zu werden, immer zwei und zwei. Wie in der Natur, nur schneller, denn die Kunst muss auf kleinem Raum und in kurzer Zeit alles zusammenraffen, was sie kriegen kann, und dann muss sie es den Leuten vorführen.

Hier wird nun gezeigt, wie wir es anderen Leuten zeigen, und dann tritt ein Abschiebemechanismus in Kraft und schafft die Asylanten weg, mit Limousine samt Wappen, jeden Tag zwei, alles pauschal, inklusive und im Rekordtempo, an die Landesgrenzen.

Vorher finden Dinge dort statt, die man sich im Internet oder auf den Bildschirmen außen am Container anschauen kann, aber man kann nicht hinein.

Es ist aber nicht einfach, es ist so kompliziert, obwohl es einfach scheint, was hier gezeigt wird, dass ich mir immer noch das Hirn zermartere, wie man es beschreiben könnte. Denn was wir sehen, ist ja ein Vorgang, der in der Zeit abläuft, gleichzeitig aber auch eine Kunst-Installation, die, solange man sie betrachtet alles, was da passiert, in dieser Betrachtungseinheit zusammenzieht. Ein Stück Kunst ist in jedem Augenblick alles, auch die Summe seiner Herstellung und auch das, was darüber hinaus weist, also in dem Fall eine Ausweisung, weil die Ausweise dieser Asylanten dort drinnen halt hier bei uns nicht gültig sind. Sie sind abgelaufen. Laufen Sie auch! Weg! Macht ja nichts, die Leute sind Abschiede schon gewohnt durch ihr bewegtes Leben.

Die Sache mit Beuys und dem Coyoten

Christoph Schlingensief zeigt mir nachher, im Café, in einer deutschen Zeitung das berühmte Foto von Beuys mit dem Coyoten ("I like America and America likes Me"). Beuys hat den Körper und den Kopf verhüllt, es ragt nur sein Guter-Hirtenstab aus dem Umhang heraus. Der Coyote nähert sich ihm, den Kopf gedreht, neugierig, ängstlich, vorsichtig?

Es ist nicht Kunst, was ich mache, sagt Schlingensief. Ich sage, doch, es ist Kunst, was du da machst. Denn auch dieses wunderbare Foto mit dem Coyoten enthält ja, obwohl es nur diesen einen Moment zeigt, die ganze lange Geschichte seiner Entstehung, es enthält den Flug mit verbundenen Augen, die Versuchsanordnung und den Rückflug mit verbundenen Augen. Du siehst nur diesen einen gefrorenen Moment, aber alles andre ist auch noch drin, weil du es weißt, weil du die Entstehungsgeschichte dieses Fotos kennst. Was aber, wenn einer sich das Foto anschaut und nichts weiß, darüber hinaus?

Der Container ist ein Moment, und der Betrachter bestimmt die Dauer seines Interesses, mit dem er ihn und sein Inneres im Auge behalten möchte. Punks sitzen im Gras davor, etliche alte Leute toben und schimpfen, andere mischen sich ein, widersprechen, dann brüllen sich zwei Leute an, aber das alles passiert ja immer, wenn im öffentlichen Raum etwas ausgestellt wird.

Und irgendwann geht uns ein Licht auf

Aber, ich kann es auch nicht ganz genau fassen, hier wird nicht nur alles gebündelt, was mit der grauenerregenden Vergangenheit dieses Landes, seiner schandbaren Regierung und dem ekelerregenden Wiener Wahlkampf der FPÖ , zu tun hat,nein, hier kommt noch mehr dazu: das Medienexperiment "Big Brother" und alles, was es im Kopf jedes Einzelnen, der es im Fernsehen oder im Internet gesehen hat, hergestellt hat, also in den Köpfen der Rezipienten dieser Aktion im Container, und da entstehen Interferenzen zwischen dem, was der Zuseher sieht, dem, was er in der Fernsehsendung gesehen hat und dem, was er sowieso immer schon gewusst oder später vielleicht dazugelernt hat. Und zwar unzählige Interferenzen. Natürlich ist jedes Kunstwerk für jeden etwas anderes. Aber hier würde man ein Oszilloskop brauchen, um die vielen Bedeutungs-, Bewusstseins- und Informationsebenen irgendwie zusammenzubringen.

Schlingensief ist ein Generator. Wir betreten das E-Werk. Er legt uns ein Feld an, und die Elektronen erheben sich von ihren Plätzen, sie müssen wandern, immer nur wandern, da ist ein Platz frei geworden von einem, das gewandert ist, schon setzt ein andres sich hin, und weiter geht's, zum nächsten freien Platz. Es wird mit dem Container-E-Werk bewirkt, dass das Licht an den verschiedensten Stellen an- und an andren wieder ausgeht. Wir gehen selber gern aus, aber andre müssen immer nur: wandern. Wir sind ihre Leiter. Wir sind die Herren, die Hirten, uns wird nichts mangeln, anderen aber schon.

Das alles geschieht auf einmal. Und irgendwann einmal, wir ahnen es vorher nicht, geht auch uns ein Licht auf. Mir ist es aufgegangen, als der US-Regisseur Peter Sellars, der in L.A. lebt, mit einem Mitarbeiter im Container vorbeigeschaut hat. Die beiden leben in einer der Weltgegenden, die man Schmelztiegel nennt, weil man Vergleiche mit Essen ja so gern hat, die beiden leben also an einer der schwerst bewachten Grenzen, wo Arm von Reich dauerhaft geschieden werden soll, und sie haben die Versuchsanordnung Schlingensiefs sofort verstanden, ohne dass man ihnen hätte irgendwas erklären müssen.

Sie haben gesagt, überall sollen solche Container stehen, und damit hat dieser berühmte Regisseur uns Ösis wieder dorthin zurückverbannt, wo wir immer schon waren und wo diese Regierung möglich geworden ist: in die finsterste Provinz, wo die Leute sich weigern, sich vom Denken rufen zu lassen, und dem Denken immer schon ihre patzigen Antworten geben, bevor sie es noch eingeschaltet haben, das schöne Denken, das auch nach fünfzig Jahren noch wie neu ausschauen kann, wenn man es ordentlich beschäftigt und danach wieder ordentlich sauber macht. Bevor sie das Denken noch befragt haben, plappern sie schon die Antworten, diese nagelneuen Politikerinnen und Politiker.

Dabei könnte das Denken uns beschützen. Aber die derzeit Herrschenden wollen das nicht, sie wollen uns immer nur vor den anderen beschützen, egal wer die überhaupt sind. Würden wir denken wollen, gäbe es genug zu bedenken, keine Sorge. Aber die Damen und Herren mit den gelben Überfremdungsplakaten, die wollen sich mit ihren vorgefertigten Meinungen, die sie sich als Bedienerinnen halten, eben immer nur: bedienen lassen mit dem, was sie schon wissen.

Was ich im Container gemacht habe? Egal, ich hätte auch was ganz anderes machen können, aber zum Glück durfte ich wenigstens hinein. Ich habe die Insassen alle deutschen Sätze aufschreiben lassen, die sie kannten, und ich habe draus ein kleines Kasperlstück gebastelt, das dann am Abend, gespielt von den Autorinnen und Autoren, aufgeführt wurde.

Der häufigst gebrauchte Satz, den wir alle sicher noch gut brauchen werden, lautete: Helfen Sie mir!

Elfriede Jelinek ist Schriftstellerin in Wien.
Bisher erschienen: Beiträge von Paulus Manker (14. 6.), Josef Bierbichler (15. 6.)