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Roscoe Mitchell, Gründungsmitglied des Art Ensemble of Chicago, war in Wiesen in guter Form

Foto: APA/EPA/Alberto Morante
Wiesen - Markante Flageolett-Töne am Saxofon, hypnotisierende Patterns vom Schlagwerk, Free Jazz und das Prinzip der Trance - damit sorgte Samstag in Wiesen ein großartiges Art Ensemble of Chicago für Intensität. Die afroamerikanischen Wurzeln des Jazz verschmolzen spielerisch mit atonalen Bläserduos, modalen Streicheleinheiten und Uptempo-Improvisationen.

Zum 30. Mal findet das Jazzfest statt und besinnt sich offenbar mit einem Line-up seiner Wurzeln - zu spät, wie es schien, denn Jazzfans fanden kaum den Weg zum Festival. Eher unverstanden lieferte also Roscoe Mitchell, Urvater des 1966 gemeinsam mit Lester Bowie gegründeten Ensembles, auf dem Sopransaxofon wunderbare Soundspiele und vertrieb damit Scharen aus dem ohnehin spärlich gefüllten Zelt.

Ein wenig wie bei der Oscar-Verleihung fühlte man sich beim Konzert der unter dem etwas holprigen Namen Original Superstars of Jazz Fusion geführten Star-Ansammlung des Nujazz-Sounds, verbergen sich dahinter doch mit Jazz- Crusaders-Posaunist Wayne Henderson, Soul-Legende Jean Carne und Pharao Sanders Keyboarder Lonnie Liston Smith, der zu Beginn auf einem Plastik-Keyboard statt auf dem hinter ihm platzierten Fender Rhodes Divine Warrior, den Opening Track des 1973 erschienenen ersten Albums Astral Travellingseiner Band The Cosmic Echoes (die Wegbereiter der gesamten Acid- Jazz- und Crossover-Szene) präsentierte.

Roy Ayers fungierte dabei, bis auf eine Solonummer und das Schlussstück Black Famil ly, quasi als Moderator. Was weiter geschah: Ronnie Laws von Earth, Wind &Fire, der auch über eine tolle Stimme verfügt, brachte am Saxofon funkig-soulige, sehr gefällige Lines. Wayne Henderson, ganz in Kunstleopard gekleidet, lieferte sich mit Pearson rappend Duelle, stark groovend in Summe.

Danach Gitarrist Billy Jenkins, der jahrelang in Wiesen gastierte. Der Meister stolpert auf die Bühne, bringt Spielzeug mit und lässt sich gekonnt als Elvis-Parodist auf die Knie sinken. "Habt ihr eine gute Zeit? Ihr werdet bald eine schlechte haben, wir machen eine Blues-Session."Jenkins legt gleichsam seine Seele auf die Bühne. Nie überwunden hat er etwa den Verlust seines Fahrrads im zarten Alter von zwölf.

Rote Krawatte

Daraus ergibt sich eine gewisse Exzentrik: Gitarrist Richard Bolden, den Jenkins abwechselnd Homer Simpson oder Queen Victoria nennt, wurde das Tragen einer roten Krawatte erlaubt. Der Rest ist Blues meets Monty Python, was nicht überrascht bei einem, der in der Vergangenheit Improvisationsringkämpfe über zwölf Runden veranstaltete oder mit Alben wie der New-Age-Parodie Motorway at Night oder Scratches of Spain brillierte.

Ein gesundes Selbstbewusstsein nennt auch Keyboarder Jasper van't Hof sein Eigen. Und das braucht der Mann auch, wenn er sich mit seinen von Van Halen abgekupferten seit den 80ern unveränderten Keyboard-Sounds in seine epischen Rock-Opern wirft. Nach der Auflösung seines langjährigen Projekts Pili Pili darf der Name der neuen Band Hot Lips als Hommage an den Rock verstanden werden, für den der Niederländer eine unüberhörbare und deklarierte Vorliebe besitzt.

Groovende, fanfarenartige Bläsersätze, intensiv präsentiert von einem an sich lyrisch-poetisch solierenden Harry Sokal am Tenor, einer in Höchstform agierenden Annie Whitehead (Posaune) und Christian Kappe (Trompete) trösteten über die endlosen Rock-Licks, Crescendi und die kilometerlangen Soloschleifen mehr als hinweg. (Denise Riedlinger/DER STANDARD, Printausgabe, 24.7.2006)