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Die Geburt der kinematografischen Moderne aus dem Schock geschichtlicher Katastrophen – das war "Hiroshima mon amour", Alain Resnais' erster Spielfilm: ein Fanal, ein Augenöffnen. Bezwingender Aufbruch der Nouvelle Vague, elektrisierender Diskurs über Erinnern und Vergessen, Ästhetik und Moral. Konfrontation mit einer Wirklichkeit, von der sich nicht mehr in traditioneller Manier erzählen lässt, weil sie die Negation des Humanen ist, die exekutierte Apokalypse, das Unvorstellbare. Nach Auschwitz und Hiroshima kann man nicht mehr anekdotisch erzählen, kann man auch keine illustrierenden Bilder mehr machen. Eine Erfahrung und Herausforderung, die kein anderer Filmemacher mit solch seismografischer Dringlichkeit empfand wie Alain Resnais. In seinem Filmessay "Nacht und Nebel" (1955) stellte er sich den Schreckensbildern der Vernichtungslager.

Zwei Jahre später die Begegnung mit Hiroshima, jener japanischen Stadt, auf die am 6. August 1945 die amerikanische Atombombe niederging: "Zweihunderttausend Tote. Achtzigtausend Verletzte. In neun Sekunden. Die Zahlen sind amtlich." Das von Marguerite Duras verfasste Drehbuch beginnt mit dem Bild des "Atompilzes". Auf dieses plakative Bild, dieses Ausrufungszeichen verzichtet Resnais. Er zeigt zwei Körper, die sich zärtlich umschlingen, und kontrastiert sie mit Dokumentaraufnahmen von den entsetzlichen Verwüstungen, die die Bombe hinterließ. Der Stimme des Mannes "Nichts hast du in Hiroshima gesehen. Gar nichts!", antwortet die der Frau: "Alles habe ich gesehen. Alles."

Eine französische Schauspielerin, die namenlos bleibt, dreht 1957 in Hiroshima einen "Film über den Frieden", verbringt eine Liebesnacht mit einem japanischen Architekten im Hotelzimmer, und wird in 24 Stunden nach Paris zurückfliegen. Die beiden verlieren und finden einander immer wieder in Straßen, Bars, Wartesälen. Die Frau erzählt, Schritt für Schritt tiefer in den Erinnerungsschmerz eindringend, von ihrer ersten großen Liebe: einem deutschen Besatzungssoldaten, von seinem Tod am Tag der Befreiung, von ihrer Ächtung als "Kollaborateurin". In glasklaren Schwarz-Weiß-Bildern komponiert Resnais die befremdliche Landschaft eines traumatisierten Bewusstseins. Was Science-‑ fictionfilme als postapokalyptische Szenarien entworfen haben, ist hier Gegenwart. Die Menschen empfinden sich darin als traumwandelnde, beinahe gespenstische Wesen und wehren sich verzweifelt dagegen. Mit den Gesten von Liebenden erheben sie Einspruch gegen den Bann. Mit einem plötzlichen Auflachen wollen sie den ganzen Spuk wegwischen: "Ich bin's wirklich!"

Das sind die großen Augenblicke, in denen Emmanuelle Rivas Schönheit aufstrahlt und zur Verheißung wird. (Rainer Gansera, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2006)