Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist eigentlich eine honorige und nicht auf Sensationsberichterstattung erpichte Interessensvertretung. Man wirkt diskret im Hintergrund. Derzeit jedoch sind viele der deutschen Industriellen in Rage und haben eine nie da gewesene Revolte gegen BDI-Chef Jürgen Thumann angezettelt.

Grund der Aufregung: Der neue Job von Norbert Röttgen. Am 1. Jänner soll der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion und Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel Hauptgeschäftsführer des BDI werden. So weit, so unspektakulär. Doch der 41-jährige Röttgen möchte auch sein Bundestags-Mandat behalten.

Während Österreich diskutiert, ob Gewerkschaftsfunktionäre für den Nationalrat kandidieren dürfen, debattiert Deutschland nun, ob Wirtschafts-Lobbyisten gleichzeitig Mandatare des Bundestags sein können.

Nein, das können sie nicht, sagen Thumanns Vorgänger Olaf Henkel und Michael Rogowski. Weil sie von Thumann nicht genug Gehör bekamen, griffen Henkel und Rogowski zu einem äußerst ungewöhnlichen Mittel: In einem "offenen Brief", publiziert in der Bild-Zeitung, erheben sie schwere Vorwürfe gegen den BDI-Vorsitzenden. Der lasse "unlösbare Interessenskonflikte"innerhalb des BDI zu, was zu einer "dramatischen Beeinträchtigung seiner Glaubwürdigkeit, seines Rufes und damit seines Einflusses"führe. Mehrere Spitzenfunktionäre des BDI haben sich dieser Kritik angeschlossen und somit ein "mittleres Erdbeben"ausgelöst, wie das Handelsblattkommentierte. Thumann beschied bislang nur: "Ich reagiere nie auf offene Briefe."Er hält weiterhin an Röttgen fest.

Kritik und die Forderung nach Mandats-Verzicht kommen auch von Grünen und FDP. Sonst könnte es sein, dass "Röttgen abends als Hauptgeschäftsführer die Steuererhöhungen geißelt, die er morgens als Abgeordneter mitbeschlossen hat", sagt FDP-Vize Rainer Brüderle. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency wirft Röttgen vor, der Politik "erheblichen Schaden"zuzufügen.

Kein Einzelfall

Doch Röttgen ist kein Einzelfall. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeber (BDA), Reinhard Göhren, sitzt schon seit zehn Jahren im Bundestag. Auch aufseiten der Arbeitnehmer haben Abgeordnete eine Doppelfunktion. Im deutschen Parlament sind fünf Abgeordnete vertreten, die gleichzeitig hauptamtlich für den DGB arbeiten. Zwei davon haben sich beurlauben lassen. Von der IG Metall kommen sechs Funktionäre, von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zwei. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 21. Juli 2006)