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Francos aufständische Truppen begrüßen die von ihnen befreiten Belagerten im Alcázar von Toledo.

Foto: AP/Paramount News Reel
Wirksamer als jede Propaganda ist ein Mythos. Und eine faschistische Bewegung bedarf gerade ihrer irrationalen Ideologie wegen ganz besonders der Mythen. Die rebellierenden Generäle, die faschistischen Fanatiker der Falange, die sich als neue Kreuzritter fühlenden Carlisten brauchten einen Helden, einen Führer - und Franco fiel ein Ereignis in den Schoß, das er nützen konnte, dieser zu werden.

Nach der Überwältigung des Militärs in der Madrider Montana-Kaserne waren Milizeinheiten im Eiltempo nach Süden marschiert, um einem Aufstand der Garnison in Toledo zuvorzukommen. Im dortigen Alcázar (eine von den Mauren übernommene Bezeichnung für Festung) hatten sich unter Oberst Moscardo etwa 1300 "Nationale"-Zivilgardisten, dazu Offiziere, Kadetten, Falangisten unter Mitnahme des Zivilgouverneurs und zahlreicher anderer Geisel verschanzt.

Die zahlenmäßig überlegenen Milizionäre begannen am 22. Juli 1936 mit der Belagerung des Alcázar. Da sie zunächst keine Artillerie zur Verfügung hatten, war der Beschuss der auf Felsen errichteten Burg mit Gewehren und Pistolen eher eine Vergeudung von Munition. Die Miliz hoffte auf eine Kanone und darauf, dass den Belagerten die Nahrungsmittel ausgehen würden. Darauf musste man sich umso mehr verlassen, als sich auch das endlich gelieferte Geschütz als nicht sehr wirksam erwies. Und die Eingeschlossenen ernährten sich vor allem vom Fleisch der mitgenommenen Pferde und warteten auf Entsatz.

"Heldentod" verfügt

Eine Wendung trat ein, als den Belagerern Moscardos Sohn Luis in die Hände fiel. Hatte der republikanische Kriegsminister mehrmals vergeblich versucht, Moscardo telefonisch zur Aufgabe zu bewegen, so glaubte man nun einen Trumpf in der Hand zu haben. (Dazu ist zu bemerken, dass das Telefonsystem in Spanien während des gesamten Bürgerkriegs fast ungestört auch zwischen den Fronten funktionierte, auch wenn die diversen Zentralen der amerikanisch geführten "Telefonica"gelegentlich besetzt wurden). Nun rief der Milizführer von Toledo den Alcázar-Kommandanten an und teilte ihm mit, dass sein Sohn erschossen würde, wenn er sich nicht ergebe. Als dann der Sohn am Hörer war und dies bestätigte, empfahl ihm der Vater mit "einem letzten Kuss", mit "Viva España" auf den Lippen wie ein Held zu sterben. Zum Milizführer sagte er: "Der Alcázar wird niemals kapitulieren", und legte den Hörer auf.

Das war der Stoff, aus dem sich Mythen dichten lassen. Luis Moscardo wurde in der Tat erschossen, allerdings Wochen später, als nach einem Luftangriff Opfer unter der Bevölkerung zu beklagen waren. Die nationalistische Propaganda sorgte dafür, dass konservative Bürger um die armen Kadetten zitterten, während man von den Geiseln im Alcázar nicht sprach (geschweige von ihrem späteren Geschick, das ungeklärt blieb). Im faschistischen Ausland wurden für die von der Härte altrömischer Vorbilder abgeschaute Äußerung von Vater Moscardo als Beispiel gepriesen.

Vorbild altes Rom

Franco wusste das Ereignis zu nutzen. Er schwenkte mit seinen Truppen in Kastilien, als alles schon erwartete, dass nun der Stoß auf Madrid gewagt würde, in Richtung Toledo ab, die Versorgung in der belagerten Festung war kritisch geworden. Ein von der Miliz durchgelassener Geistlicher erteilte Moscardo und der ganzen Besatzung kollektiv die Absolution.

Die Belagerer versuchten nun mit der Unterminierung der Burg, sie zu sprengen. Ein Turm fiel in Trümmer, auf ihm wurde die rote Fahne gehisst. Nun setzte Franco sein Entsatzheer in Bewegung. Der Angriff überraschte die Miliz. Die Flüchtenden wurden ohne Gnade umgebracht, selbst Verwundete in Spitalsbetten. Am 28. September konnte Moscardo dem kommandierenden General salutierend melden: "Sin novedad en el Alcázar" (Im Alcázar nichts Neues). Die Szene wurde am nächsten Tag für die Reporter wiederholt, als Franco eintraf. Als "Retter des Alcázar" wurde er am 1. Oktober 1936 in Burgos von den Generälen zum Generalissimus und Staatschef (Caudillo=Führer) erhoben. (Manfred Scheuch, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.7.2006)