Berlin - Mit der militärischen Strategie Israels im Libanon und den Zusammenhängen zwischen der gegenwärtigen Nahost-Eskalation und den Zuständen im Irak befassen sich am Donnerstag europäische Pressekommentatoren:

"Berliner Zeitung":

"Die westlichen Staaten bleiben tatenlos und nennen das: Eintreten für Israels Existenz. So verhindern die USA nicht nur reflexhaft jede UN-Resolution in dem irrwitzigen Glauben, dass mit der Hisbollah auch der Iran geschwächt werden kann. Präsident George W. Bush heizt mit seinen Parolen den Konflikt auch noch an. Die Franzosen wollen gern wieder eine Rolle in ihrem einstigen Mandatsgebiet Libanon spielen. Deutsche Politiker fürchten Antisemitismusvorwürfe und positionieren sich. Der europäische Rest belässt es bei vagen Appellen. Die arabischen Diktatoren fürchten sich vor den Amerikanern, vor Israel, den Islamisten, vor dem eigenen Volk. Israel muss geschützt werden. Nicht nur vor radikalen Arabern und Persern, sondern auch vor sich selbst."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Erklärtes Ziel der israelischen Strategie ist: Die Armee soll die Hisbollah als relevante militärische und politische Kraft ausschalten und so eine stabile Basis für Verhandlungen über eine langfristige Regelung schaffen. Aber Politik und Armeeführung sind sich uneins über das Vorgehen. Die Luftwaffe ist überzeugt, mit weiter anhaltenden Bombardierungen die bereits erheblich geschwächte Hisbollah in die Knie zwingen zu können. Im Gegensatz dazu stellen sich die meisten Politiker und Generäle in den internen Diskussionen auf den Standpunkt, dass die Bedrohung durch die Katjuscha-Raketen letztlich nur durch Bodentruppen beseitigt werden kann. (...) Israels Regierung und Armeeführung setzen darauf, dass der Krieg auch noch die gesamte nächste Woche anhalten wird - mit Zustimmung der USA und schweigender Zurückhaltung der Europäischen Union. Die Armee, so wird kolportiert, brauche noch zehn bis 14 Tage, um alle militärischen Ziele zu erreichen."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Ob die jüngste Eskalation ein Resultat einer fehlgeschlagenen Invasion im Irak und eines fehlenden Engagements im Nahen Osten sei, ist in Amerika umstritten. Die Regierung und ihr nahe stehende Medien argumentieren, die radikalen Islamisten unternähmen eine Art Verzweiflungsoffensive, (...) aus regierungskritischer Perspektive erscheint der Krieg im Libanon als Resultat des Versagens im Irak, wo militärische wie diplomatische Kräfte gebunden seien, und als Ergebnis einer sträflichen diplomatischen Vernachlässigung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern durch die Regierung Bush. Deren Idee zum 'Demokratieexport' habe gerade die Hamas an die Macht gebracht und auch die Hisbollah nicht geschwächt."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Man darf sich über den amerikanischen Handlungsspielraum in Nahost keine Illusionen machen. Die Regierung Bush hat in sechs Jahren fast jede diplomatische Chance im Konflikt Israels mit den Palästinensern verspielt. Washington hat seine unter Präsident Bill Clinton ausgeübte Maklerrolle aufgegeben. Diese Rolle haben die USA vor allem durch das Irak-Abenteuer verloren. (...) Kern des Hisbollah-Israel-Krieges ist die Auseinandersetzung um den Einfluss von islamischem Fundamentalismus in Nahost, oder umgekehrt: der Kampf um die Modernisierung. Wer, wie die Hisbollah, zu Gunsten der Palästinenser zu wirken vorgibt, der zerstört die jüngste demokratische Errungenschaft dieser Schutzbefohlenen: eine frei gewählte Regierung, die intern um ihre Legitimation ringt und dabei war, wenigstens in Teilen von den undemokratischen Waffen des Terrors zu lassen. Die Hisbollah hat kein Interesse an einer demokratisierten Hamas-Bewegung, sie hat auch kein Interesse an einer immer stabiler werdenden libanesischen Regierung, die sich ihrem Einfluss entzieht." ==> Weiter klicken zu: Libération, taz, Independent, Kommersant

"Libération" (Paris):

"Angesichts der zahlreichen zivilen Opfer sprechen das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen von Verletzung des internationalen Rechts und sogar von möglichen Kriegsverbrechen, und zwar von der einen wie von der anderen Seite begangen. Selbst die USA, die Israels Offensive unterstützen, fangen an, Ungeduld ihrem Verbündeten gegenüber an den Tag zu legen. Das könnte einen Waffenstillstand beschleunigen, von dem auch der israelische Generalstab weiß, dass er unausweichlich ist, auch wenn die Generäle ihn so weit wie möglich hinausschieben möchten. Im Gegensatz zu dem, was er sagt, hat der israelische Regierungschef Ehud Olmert also nicht beliebig Zeit im Libanon."

"The Independent" (London):

"Während die Aufmerksamkeit der Welt aus verständlichen Gründen auf den Libanon gerichtet ist, dürfen wir nicht vergessen, dass die Zahl der Todesopfer in dieser Nahost-Krise eine vernachlässigenswerte Größe ist, wenn man sie mit dem Blutbad vergleicht, das einige hundert Kilometer weiter im Irak stattfindet. Die Totenzahl hat dort inzwischen wirklich albtraumartige Ausmaße angenommen. Allein im Mai und Juni wurden 5818 Menschen gewaltsam getötet. Fast jeden Tag wird ein Massaker verübt. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Morden ein Ende nimmt."

"die tageszeitung" (taz) (Berlin):

"Bisher hat es die israelische Armee noch nicht einmal geschafft, die Propagandamaschine der Hisbollah auszuschalten. Zwar wurde das Fernsehgebäude des parteieigenen Senders Al-Manar am zweiten Tag des Krieges dem Erdboden gleichgemacht, der Sender strahlt aber munter weiter seine stündlichen Nachrichten und Talkshows aus. Solange die Militärschläge andauern, geben sich die Libanesen geschlossen gegen Israel, aber die Diskussion über die Verantwortung für die jüngste Eskalation hat begonnen, (...), die Christen sind in ihrer Unterstützung für die Hisbollah und deren syrische Mentoren gespalten. (...) Die Zutaten für einen erneuten libanesischen Bürgerkrieg wären zusammengemischt."

"Kommersant" (Moskau):

"Wenn es Israel nicht gelingen sollte, die Aufgabe in möglichst kurzer Zeit zu lösen, wird man das Vorgehen gegen den Libanon in einem ganz anderen Licht sehen. Die Tatsache, dass die Hisbollah den Israelis in den Rücken gefallen ist und dadurch den Konflikt provoziert hat, dürfte dann in den Hintergrund treten. Stattdessen wird man das Vorgehen Israels nicht mehr als als Akt der Selbstverteidigung wahrnehmen, sondern als Eroberungskrieg, mit dem der jüdische Staat unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung seinen Machtbereich ausweiten will (...) Israel reicht es deshalb nicht nur zu siegen. Es muss ein schneller Sieg sein." (APA)