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Das Städtchen Safranbolu

Foto: Archiv
Zuerst Ovid, dann der Ransmayr, jetzt auch noch Taxifahrer Hakkan. Jammerei in jedem Fall. Über die Schnecken. Und über den salzigen Wind, der das Land zerfrisst, und rostrote Dörfer schafft, und der die Zapfsäulen der raren Tankstellen benagt. Und nicht zu vergessen: über den Nebel.

Ovid hasste die feuchte Zudecke wohl, die auch vor zweitausend Jahren vom Schwarzen Meer die Hänge hochkroch, und dem mondänsten Dichter des Römischen Kaiserreichs im Exil seine eigene, klimatische Interpretation von Metamorphosen aufzuzwingen suchte.

Jetzt erschwert sie Hakkan zumindest die Sicht inmitten ohnehin rutschiger Serpentinen. Verbannungsorte am Schwarzen Meer waren für poetische Mittelmeerpflanzen wohl immer ein Schock. Und vielleicht auch eine Verheißung. Denn der Nebel und der feine Nieselregen knallt einem ja zugleich auch ein Grün vors Auge, wie man es leuchtender auch in Indochina nicht sieht. Es gebiert einen Reichtum an Ranken und Blättern, der die Bauern in ihren Gärten zu kleinen Urwaldexpeditionen zwingt, wenn sie doch bloß an den Holzzäunen entlang zur Okraschote schreiten wollen.

Grüne Küste

So ist das an der grünen Küste des Schwarzen Meeres, das vom Küstengebirge hinter Rize gesehen, eher Silbernes Meer heißen müsste. Denn angelaufen wie schlecht gepflegtes Familiensilber, mal gleißender und mal düsterer oxidiert unter der Wolkenzudecke hervorblitzend, breitet es sich soeben hier aus.

Dass Ovids Verbannungsort Tomi eigentlich in Rumänien lag, an der Stelle des heutigen Constan¸ta, soll dabei nicht weiter stören. Denn im Prinzip geht es um eine innere Landschaft. Und um ein Meer, das zugleich auch Mythos ist, und das sonderbar entrückt und überschattet gegen unbekannte Ränder schwappt. Rize steht dafür ein - so wie auch die restliche Nordostecke der türkischen Schwarzmeerküste.

Wer hier herreist, betritt Grenzland, und also: autonomes Gebiet. Dass die hier lebenden Lasen, muslimische Nachfahren der einst griechischsprachigen Küstenbewohner, in der restlichen Türkei als Pendant zum Ostfriesen/Burgenländer gelten, soll da nicht weiter stören. Denn der subtropisch grüne Teil der Türkei fällt gerne aus dem Rahmen. Das war im Laufe der Geschichte schon so, als der unstete Nebel nicht nur den Smaragdton der fetten Almen sicherte, sondern auch die Autonomie der Dörfer. Irgendwie hielt der Nebel die Außenwelt fern, bevor sie auf Hochalmen wie Ayder, heute touristischer Startpunkt von Trekkingtouren ins Kackar-Gebirge, einwirken konnte.

Weder Byzanz noch das Osmanische Reich konnten hier Fuß fassen. Die feuchten schmatzenden Böden, die sich unmittelbar hinter der Küste auftun, und die den Ausläufern eines bis zu 4000 Meter hohen Gebirges üppige Rhododendren bescheren, und Moose und Flechten in den Camouflage-Farbtönen weit entfernter Modediktate, blieben dabei kleinen Dorfgemeinschaften vorbehaltenes Terrain.

Oder Basis von Mythen, wie jener des Kolchis-Reiches, in dem Jason das Goldene Vlies geraubt haben soll. Dutzendware übrigens. Glaubt man neueren Theorien, soll es sich dabei um in die reißenden Bergbäche versenkte Schaffelle gehandelt haben, an deren Wolle Goldpartikelchen hängen blieben. Doch alles der Reihe nach. Beginnen wir lieber beim Hasenblut.

Die Farbe des Tees

So nennt Taxifahrer Hakkan die Farbe des Tees, der beim Stopp hinter Rize soeben in kleinen, bauchigen Gläsern dampfte - wegen der idealen, satt dunkelroten Farbe, die türkischer Cay haben muss, schon gar in einer Gegend wie Rize. Das feuchtwarme Klima hat östlich von Trabzon, gleich hinter Sürmene, den Anbau von Tee begünstigt, der nun über weite Strecken die Hügel der östlichsten Ecke der türkischen Schwarzmeerküste prägt.

Die Wolken, die sich hier in die Berghänge legen und der Region bis zu fünf Meter Jahresniederschlag bescheren, verbergen aber noch andere Reichtümer. Manche davon sind vom Aussterben bedroht: seltene Orchideenarten etwa oder jene endemische, grünbronzen schimmernde Käferart, die Insektensammler in die grünen Bergfalten locken.

Bedroht ist wohl auch das Ortsbild der oft nur über Schotterstraßen oder gar zu Fuß erreichbaren Weiler, deren traditionelle Architektur irgendwo zwischen Himalaya und Trentino siedelt: Auskragende Satteldächer und Holzpfahlbauten finden sich in den Hügeln um ¸Camlihem¸sin.

Krokusse blühen zweimal

Dass die Krokusse hier im Herbst ein zweites Mal blühen, und die Bauern hinterher ihre Zwiebel verspeisen, glaubt man da auf Anhieb. Wer in solche Nischen vordringt, wird für die verregnete und mit nicht eben üppigen Badestränden gesegnete Küste des "Pontos Axeinos" - des "ungastlichen Meeres" - überreich entschädigt. Selbst an der leider unmittelbar neben dem Meer verlaufenden Küstenstraße bieten sich einige Pflichtstopps an.

Trabzons Zitadelle etwa. Oder der Küstenort Ak¸cakoca, an dem man seinen Cay neben den Ruinen eines Genueser Forts schlürfen kann. Doch vor allem locken Abstecher ins Hinterland, die neben Tee, Wildkräutern und orange leuchtender Brunnenkresse auf bemoosten Steinwegen auch vielfältige Relikte einer dicht gewobenen Kulturregion offenbaren. Allein im Imherevi-Tal findet sich ein halbes Dutzend Klosterruinen aus georgischer Zeit in idyllischer Abgeschiedenheit.

Safranbolu, der Name erinnert an den Safranhandel, der dem Ort einst zu Reichtum verhalf, gleicht mit restaurierten zweistöckigen Fachwerkbauten und kopfsteingepflasterten Straßen indessen einer seldschukischen Zeitkapsel. Die kulturelle Topattraktion findet sich hingegen 50 Kilometer landeinwärts von Trabzon. Hier bauten christliche Mönche vor 1600 Jahren eines der berühmtesten Klöster des Orients in die Nische eines Steilhanges: Sumela.

Heute liegt der Ort, über Jahrhunderte eine große Nummer im Devotionalienhandel, ramponiert und verlassen. Eine weitere Geschichte, die von Abgeschiedenheit und Exil erzählt - allerdings im Unterschied zu Ovid von selbst gewähltem. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/21/7/2006)