Nach Jahren peinlich gescheiterter Opernversuche setzt man seit dem Vorjahr auf Tourneeproduktionen mit leichter und leichtester Musicalkost (Abbafever, Jesus Christ) und schon verglühten "Dauerbrennern"(Montserrat Caballé, Magic of the Dance).
Hair überzeugte in den späten 1960ern nicht nur als Musical, sondern ab 1979 auch als Musikfilm, der die gesellschaftlichen Ängste einer ganzen Generation zum Ausdruck brachte, die Krieg (Vietnam!), Rassismus und (vornehmlich sexuelle) Tabus nicht akzeptieren wollte. Zum zeitgeistigen "Libretto"gesellte sich fetzige Popmusik, deren herausragende Qualität ihrem Schöpfer, Galt MacDermott, singulären Ruhm bescherte: Evergreens wie "Aquarius" oder "Let the sunshine" reißen nicht nur altgediente Weltverbesserer von den Sitzen.
Regisseur Georg Malvius ergänzt die eigentliche Handlung mit einem geschickt aktualisierten "Haarteil", indem er eine Rockband zum begleitenden Part des Geschehens werden lässt. Diese konzertiert zu Ehren Nelson Mandelas, der eine begeisternde Rede über die Erschaffung einer neuen Welt gehalten hat. Originalmitschnitte von Martin Luther King und John F. Kennedy unterstreichen den pazifistischen Anspruch der Inszenierung. Claudes Tod verweist auf die Schmutzigkeit jedes Krieges.
Die Sechs-Mann-Combo präsentiert sich als professionelle Formation, die den Gesangssolisten ordentlich den Ton angibt, perfekt die Balance zwischen Originaltreue und Improvisation behält. Mit ungeheurem Drive werden auch Alt-68er zum Swingen verleitet. Koit Toome (Claude) beeindruckt mit extrem wandlungsfähiger Stimme, der Este setzt auch darstellerische Glanzlichter auf. Brady Swenson präsentiert sich als glaubhaft aufmüpfiger Berger. Jenny Nordqvist agiert als temperamentvolle, stimmlich versierte Sheila. Ein hoch motiviertes, erfrischendes, internationales Ensemble weiß auch tänzerisch zu gefallen.
Riesig dimensionierte Fotos der New Yorker Skyline ergeben ein minimalistisches Bühnenbild, dessen Statik durch kostümbildnerische Gags gemildert wird.