Schätzte die "liberale und intellektuelle Atmosphäre" am Institut des Walter Schachermayer: Josef Teichmann.

Foto: Standard/Teichmann
"Auch die Welt des Zufalls hat feste Gesetze, sie ist sehr verlässlich", sagt Josef Teichmann, diesjähriger START-Preisträger, der sich mit der Geometrie stochastischer Differentialgleichungen am Institut für Wirtschaftsmathematik der TU Wien befasst. Auch wenn es leidenschaftliche Anhänger des Glücksspiels traurig macht, sagt der Experte für Wahrscheinlichkeitsrechnung, "dass Lotto ein Spiel ist, bei dem man mit erstaunlicher Sicherheit verliert. Ebenso wenig bedeutet die oftmalige Wiederholung derselben Farbe beim Roulette, dass man einem System auf der Spur ist".

Stochastische Prozesse sind zufallsabhängige Entwicklungen von Zustandgrößen entlang der Zeit, die in Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik eine große Rolle spielen. Die Geometrie dahinter kann man sich wie die Wege eines Segelschiffes im Ozean vorstellen, das mithilfe des Windes von A nach B Kurs setzt. Je nachdem, wie weit es zufallsabhängig von der idealen Verbindunglinie abgetrieben wird - mal in die eine, mal die andere Richtung -, entstehen durch alle möglichen Abweichungen geometrische Strukturen, mit denen der 1972 geborene Mathematiker den Zufall dingfest machen kann.

Wer ohne Taschenrechner nicht einmal addieren möchte, kann sich schwer vorstellen, dass die konzeptuelle Phase der Berechnung stochastischer Prozesse mit den Werkzeugen "Papier, Bleistift, dem Kopf und den eigenen kreativen Gedanken" absolviert wird, "zurückgezogen und konzentriert" schwärmt Teichmann.

In seinem Fachgebiet Finanz- und Versicherungsmathematik, beschäftigt er sich mit der Einschätzung und Bewertung von Risiken in den Bereichen des freien Handels. Ausgangspunkt ist das No-Arbitrage-Prinzip, das besagt, dass es keine risikolosen Gewinne an gut organisierten Börsen geben sollte. Stochastische Prozesse, die diesem Prinzip genügen, müssen qualitativ und quantativ bestmöglich verstanden werden, sodass man daraus ein Risikomanagement ableiten kann. Am START-Preis freute ihn die Anerkennung der Jury, zugleich ist das eine große Verantwortung und Herausforderung für ihn. Mit der Finanzierung seines Forschungsprojekts werden schnellere und verfeinerte Methoden entwickelt. Denn je mehr man qualitativ über eine Lösung weiß, desto besser kann man sich ihr quantitativ annähern. Während es heute in Banken und Versicherungen eine Stunde dauert, den Preis eines Produktes inklusive der Risiken zu kalkulieren, wären diesselben Rechnungen in den 1990er-Jahren noch schwer durchführbar gewesen. Das liegt nicht nur an den Rechnerkapazitäten, sondern auch an innovativen, neuen Methoden.

Der Lienzer schnupperte in Germanistik und Geschichte hinein, Mathematik verfolgte er an der Universität Graz bis zum Abschluss, "ein zeitloses Gebiet mit hohem intellektuellem Anspruch, das meiner Neugier entgegenkommt". Mit dem EU-Austauschprogramm Erasmus ging er nach Frankreich, ohne die Sprache davor je gelernt zu haben: "Ich mochte französische Literatur und Musik, hatte in der Schule aber Latein". Ein Jahr verbrachte er an der Universität in Besançon - einer kleinen, ausgezeichneten Hochschule in der Provinz Franche-Comté. Das Doktorat machte er an der Universität Wien, wo er sich mit Geometrie auseinandersetzte. An der TU Wien schätzt er die "liberale und intellektuelle Atmosphäre" am Institut des Wittgenstein-Preis-Trägers Walter Schachermayer.

Die Freizeit gehört seiner Familie, den drei Kindern und seiner Frau, mit denen er, um so viel Zeit wie möglich mit ihnen zu verbringen, auch zu Kongressen reist. Gar nicht selten finden sie in Frankreich statt. (Astrid Kuffner/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 19.7. 2006)