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Präsident Wladimir Putin hat Russlands Wiederaufstieg fest im Visier.

Foto: AP/Grits
Erstmals treffen sich am Wochenende die Führer der größten acht Industrienationen in Russland. Präsident Wladimir Putin will zeigen, dass Russland gestärkt durch sein Energiegeschäft auf die Weltbühne zurückgekommen ist.

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Erstmals macht Russland den Gastgeber für die G-8-Staatschefs und hat die Energiesicherheit zum Hauptthema erkoren. Nach der Abkühlung des Verhältnisses zwischen dem Westen und Russland will Moskau auch durch den Gipfel eine internationale Akzeptanz als gleichwertiges und eigenständiges Machtzentrum erlangen. Durchbrüche werden nicht erwartet. Mit den USA jedoch könnten wegweisende Ergebnisse erzielt werden.

Vermittler Gorbatschow

Als Vermittler sprang der ehemalige Präsident Michail Gorbatschow diese Woche ein. Russland ändere sich, und der Reformprozess werde immer solider, schrieb er in einem Artikel für die Financial Times; man müsse die Art dieser Veränderungen verstehen und Geduld aufbringen. "Russland ist ein stolzes Land, das einen vollwertigen Platz in der internationalen Gemeinschaft einnehmen will".

Vielleicht hatte die amerikanische PR-Firma Ketchum, die der Kreml als Imageberater für den G-8-Vorsitz engagiert hatte, Gorbatschow darum gebeten. Jedenfalls hat der Erfinder der Perestrojka zutreffend zusammengefasst, dass es am gegenseitigen Verständnis gehörig hapert. Über zehn Jahre lang wurde von der Integration Russlands in den Westen geredet, über eine "strategische Partnerschaft" zwischen Russland und den USA. Heute äußern westliche Staatschefs öffentlich ihre Besorgnis über die innenpolitische Situation in Russland, die Haltung zu den anderen postsowjetischen Staaten und zu Krisenherden von internationaler Relevanz.

Eigenes Sonnensystem

Im Mai zieh US-Vizepräsident Dick Cheney den Kreml der "ungerechten Beschränkung der Menschenrechte" und der Verwendung der Energieressourcen als "Waffe zur Einschüchterung und Erpressung". Dies sei "ein verfehlter Schuss auf der Jagd", sagte Putin nun im Interview - offenbar in Anspielung auf Cheneys Jagdunfall. Einen "kolonialistischen Tonfall" gegenüber Russland orte er, die Reaktion des Westens sei "zuweilen exaltiert", meinte er schon Anfang Juli. Beobachter meinen erstmals seit dem Ende der Sowjetunion wieder Anzeichen einer ideologischen Konfrontation zu erkennen. "Moskau verlässt den Orbit des Westens", schreibt der Vizechef des Moskauer Carnegie-Instituts Dmitri Trenin: Habe man bis vor Kurzem gedacht, dass Russland im westlichen Sonnensystem der entfernte Pluto ist, so gründe Moskau nun ein eigenes System, das eine eigene Außenpolitik auf gleicher Ebene mit den USA und China führen will.

Wenn Putin heute die G-8-Staatschefs in Petersburg empfängt, ist dies ein Schritt auf dem Weg, Bedeutung zurückzuerobern. Weit davon entfernt, eine Supermacht zu sein, hat Russland jenes Segment zum Gipfelhauptthema gemacht, in dem es global den Ton mit angibt: die Energiesicherheit. Der große Durchbruch, der eine gegenseitige Zulassung auf die eigenen Märkte und Förderstätten bedeutete, wird nicht stattfinden. Die meisten Experten schätzen, dass in keiner einzigen heiklen Frage ein Durchbruch zu erwarten ist. Zuletzt hat es immerhin danach ausgesehen, dass Russland auf den US-Wunsch reagiert, den Druck auf den Iran zu erhöhen. Wobei diese Frage, ebenso wie die Eskalation im Nahen Osten und Nordkorea laut Gipfelplan nicht im Zentrum der Diskussionen stehen.

Als zentrale Themen neben der Energiefrage stehen weniger heikle auf dem Programm: Bildung, Infektionskrankheiten oder Demografie. Der britische Premier Tony Blair wird außerdem die Erweiterung der G-8 um China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika vorschlagen. Die Premiers der meisten dieser Staaten sind im Rahmen des G-8-Gipfels auch nach Petersburg eingeladen.

WTO-Beitritt gegen Auftrag für Boeing

Als erster kam freilich US-Präsident Bush schon Freitag nach Petersburg. Das bilaterale Gespräch mit Putin gilt als eines der wichtigsten während der letzten Jahre, da es die abgekühlten Beziehungen wieder aufwärmen könnte. Dem heimischen Druck nach einer schärferen Gangart bezüglich Russlands Demokratiedefiziten gab Bush insofern nach, als er am Freitag russische NGOs traf. Zuvor hatte er allerdings die Ermordung des Terroristen Schamil Bassajew goutiert. Letzte Woche wurde auch eine bilaterale zivile Nuklearkooperation angekündigt.

Die USA wollte am Wochenende auch Russlands Beitritt zur WTO absegnen. Sie erwartet sich dafür einen großen Lohn: Boeing bewirbt sich um einen 3,2 Mrd. Dollar schweren Auftrag von Aeroflot. Und zwei US-Firmen wollen zur Ausbeutung eines der größten Gasfelder, des russischen Stockmann-Feldes, zugelassen werden. (Eduard Steiner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16.7.2006)