Dan Stuart von der US-Band Green On Red bei der neuen alten Arbeit: Der genialische Amateur gastiert morgen mit seiner Band (Chuck Prophet, Chris Cacavas und Jack Waterson) im Wiener Flex.

Foto: Darren Andrews
Wien - "Why do we play music? We're too lazy to work and too nervous to steal."

Dieses Bekenntnis stand auf der Rückseite des Green-On-Red-Albums This Time Aroundvon 1989 zu lesen. Dass sich der Sänger und Songschreiber Dan Stuart und sein genialer Gitarrist Chuck Prophet, die Kernbesetzung der Band, für die "Notlösung"Musik entschieden haben, erhellte damals nicht nur die Herzen von Insidern rund um den Globus. Es brachte Green On Red immerhin auch an den Rand einer richtigen Karriere, die letztlich jedoch an menschlichen Unzulänglichkeiten, ausgelöst von Stuarts Drogenproblemen, scheiterte.

Als die Band aus Tucson, Arizona, wo sie als "Desert-Rock"-Band unter anderem das Umfeld für Kollegen wie Giant Sand bildete, 1993 einfach so zerbröselte, hinterließ sie immerhin fünf, sechs exzellente Alben.

EtwaScapegoats, das die weißen Southern-Soul-Giganten Dan Penn und Spooner Oldham maßgeblich unterstützten, Here Come The Snakes, dem die Produzenten-Legende Jim Dickinson aus Memphis, Tennessee, ihre räudige Authentizität verlieh oderThe Killer Inside Me. Ein Werk, auf dem Dan Stuart seine Obsessionen für den Pulp-Literaten Jim Thompson und die Mythen des amerikanisch-mexikanischen Grenzlands auslebte: dreckig, weinerlich, wunderbar!

Es waren Alben, die die US-Kritik von den "neuen Rolling Stones"schwärmen ließen oder die Band auf eine Stufe mit Robbie Robertson und The Band stellte. Blödsinn zwar, aber Green On Red vereinten in sich tatsächlich als eine der ersten Bands Punk und Tradition - unter besonderer Berücksichtigung von Bob Dylan. "Wir sind eine Band, die ihre Zukunft bereits hinter sich hat", scherzte Chuck Prophet über ihre Selbstsicht an dieser Schnittstelle.

Nun gibt es immerhin eine neue Gegenwart für Green On Red. Anlässlich des Todes ihres früheren Schlagzeugers Alex MacNichol fand man im Vorjahr für einen Auftritt wieder zusammen. Entgegen der Ankündigung, dass diese Show einmalig bleiben würde, spielte die Band in der Folge umjubelte Konzerte in Großbritannien und gastiert zurzeit auf diversen Festivals in Europa. Wie ist das jetzt genau?

Dan Stuart: "Abgesehen von Nebenerscheinungen wie dem Geld, das wir damit verdienen, ist unsere Motivation das, was Chuck unsere ,morbide Neugierde'nennt: Ohne große Hoffnung schauen, was kommt. Dazu besitzt diese Besetzung mit Chris Cacavas und Jack Waterson einen originären Sound und ihre ganz eigene Ästhetik - und die habe ich tatsächlich vermisst.

Ansonsten gilt: Wir sind zurück, aber wir bleiben nicht. Es gibt keine Pläne für neue Aufnahmen. Wir holen uns einfach unser Stück vom Kuchen - und essen es auch. Eben typisch amerikanisch. Bitte um Nachsicht für unsere Gefräßigkeit, aber wir haben es nicht besser gelernt - wie die US-Politik der Welt täglich beweist."

Film statt Musik

Nachdem Green On Red erstmals Geschichte waren, begann Chuck Prophet eine veritable Solokarriere, während Stuart nach zwei Solo- alben von der Bildfläche verschwand: Selbst befreundete Musiker wie Joey Burns von Calexico wussten nichts Genaues.

Stuart: "Musikalisch hatte ich nichts zu sagen. Und es war auch nicht so, dass irgendjemand besonderes Interesse an mir gehabt hätte. Also habe ich andere Dinge gemacht, hauptsächlich Drehbücher geschrieben. Seit 2003 lebe ich in New York. Ich habe einen achtjährigen Sohn. Im Moment arbeite ich an einer Filmbiografie über den Erfinder Nikola Tesla. Eines der Drehbücher, die ich gemeinsam mit Dan Vinik über das Musik- business verfasst habe, wurde verfilmt: Deadrockstar(2002) mit Steve Buscemi, Seymour Cassel und Steven Baldwin. Und auch eines über eine Mordserie an Fabriksarbeiterinnen in der mexikanischen Grenzstadt Juárez."

Die alten Interessen sind für ihn also immer noch verführerisch. Kommt Green On Red die herrschende Retro- und Revivalkultur zugute?

Immerhin haben Bands, die mit ähnlich traditionsbewusstem Anspruch angetreten sind - von Wilco bis zu den White Stripes - in den letzten Jahren mittlere Weltkarrieren gemacht.

Dan Stuart: "Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass unserer Sound heute zeitgenössischer klingt als damals. Prinzipiell meine ich, dass sich nicht wirklich viel geändert hat. Durch die neuen Technologien sind heute zwar viel mehr Leute im Business, aber es zählt nur die ,professionelle Qualität'. Darüber haben wir die wunderbare Unschuld der Amateure verloren.

Jeder scheint heute alles zu können - und so klingt auch vieles: austauschbar. Ich bin immer noch auf der Suche nach dem falschen Ton. Aber der wird ja zugunsten des vermeintlich Schönen ,deleted'. In diesem Mistkübel suche ich die Schönheit im Chaos und der Imperfektion: ,a beautiful mess'. So etwas kann man nicht planen, man muss es passieren lassen. Dinge passieren lassen - so funktioniert Green On Red."

Und das auch im Jahr 2006 ganz, ganz wunderbar. (Karl Fluch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 7. 6. 2006)