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Verwirrende Familienverhältnisse und ungelöste ethische Fragestellun- gen schafft die In-vitro-Fertilisation, die Carl Djerassi in seinem Stück "Tabus"diskutiert.
Foto: APA/Gellner
Graz - "Acht Personen - zwei Brüder und zwei Schwestern - zwei Samenspender und drei Söhne - zwei Onkel und drei Neffen - und dazu ein Ehepaar mit Heiratsurkunde und ein Paar ohne"- Verwirrende Familienverhältnisse herrschen in Carl Djerassis jüngstem Stück Tabus, das in der Bearbeitung des Theater im Bahnhof zurzeit im Hörsaal der Grazer Frauenklinik gespielt wird und in dem es um die Trennung von Sex und Fortpflanzung im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit geht.

Reproduktion!, wie das TiB-Team seine Expedition in den Text von Carl Djerassi nennt, gehört zum Rahmenprogramm des "4th European Congress for Reproductive Immunology", der von 6. bis 9. Juli an der Grazer Medizinischen Universität stattfand und die neuesten Erkenntnisse über In-vitro-Fertilisation und Embryo-Implantation diskutierte.

Seit 1978 Louise Brown als erstes "Retortenbaby" Schlagzeilen machte, sind weltweit zwei bis drei Millionen Kinder mit reproduktionsmedizinischer Hilfe gezeugt worden. Auch hier zu Lande blüht das Geschäft mit dem Kinderwunsch.

Öffentliche Podiumsdiskussion und österreichische Erstaufführung

Um sich der Verantwortung zu stellen und den "Menschen Gelegenheit zu geben, Stellung zu nehmen", initiierte die Medizin-Uni, die auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin drei EU-Projekte mit einem Gesamtvolumen von 21 Mio. Euro laufen hat, eine öffentliche Podiumsdiskussion und die österreichische Erstaufführung von Djerassis provokantem Stück.

Carl Djerassi, der sein Stück nicht wiedererkannte, obwohl ihm die Version des TiB gefiel, hat ungewöhnliche Lösungen parat. Der spät berufene Autor nimmt die Themen seiner Texte aus dem Kontext seiner wissenschaftlichen Arbeit, aber er fühlt den Grautönen nach, denn die Veränderungen, die sich für den "Vater der Pille"durch die Trennung von Sex und Reproduktion ergeben, eignen sich nicht für Schwarz-Weiß-Malerei.

Zwiesprache der DarstellerInnen mit dem Publikum

Um eine Figur und einen Großteil der Dialoge gekürzt ist die Interpretation des Theater im Bahnhof auf weite Strecken eine Zwiesprache der DarstellerInnen mit dem Publikum. Nur an Schnitt- und Höhepunkten verlässt die Dramaturgie des Teams die Innensicht der einzelnen Figuren: Sally und Harriet, ein lesbisches Paar, das sich den Kinderwunsch erfüllt, Sallys Bruder Cameron und seine Frau Priscilla, die sich ebenfalls nach einem Kind sehnen, und Harriets Bruder Max, der "liebevolle Samenspender und Onkel". Theater löst Emotionen aus, das TiB hält unter der Regie von Ed Hauswirth mit ein wenig Musik und Tanz gekonnt die Schwebe zwischen Amüsement und Betroffenheit.

Die kleine Spielfläche der steil ansteigenden Hörsaal-Arena wird mit verborgenen Nebenräumen und der großen Filmleinwand genützt, um vier Räume einzubeziehen. Als Aufführungsort bringt der Jugendstilhörsaal der Frauenklinik ein Universum an unsichtbaren, unhörbaren Schwingungen mit. (Beate Frakele, DER STANDARD, Printausgabe vom 10.7.2006)