Sonst war es eine erfüllte Zeit. Die WM und mehr noch der Umgang der Medien damit sorgten für Sinnstiftung. Der Tagesablauf war geregelt; es gab eine feste Mitte, um die herum man alles zu gruppieren hatte. Die Menschen fanden zueinander; Stammtische wurden gegründet, an denen man kommunizieren konnte. Auch die Familiengemeinschaft erhielt neuen Sinn, wenn sich Vater mit der Kinderschar um den Erstfernseher versammelte und Mutter den Zweitfernseher aufdrehen durfte.
Fast jedes Spiel schuf einen neuen Mythos, so etwa den des Bastian Schweinsteiger, der es dreimal probierte und dreimal erfolgreich war. Die Boulevardblätter hatten ständig etwas griffbereit, was sie sonst immer mühsam herbeischaffen müssen - Inhalte. Andi Herzog, Toni Polster, Hans Krankl und viele andere sublimierten in literarisch beachtlichen Kolumnen ihren Wiener Schmäh zum Stil eines Alfred Polgar. Adi Niederkorns Stimme garantierte allmorgendlich den verlässlichen Weckruf. Die Spiele waren, weiß Gott, nicht immer sehenswert, aber sie gaben Halt.
Wie das Leben danach ausschauen würde, diese Frage wagte man sich kaum zu stellen. Die Stammtische können froh sein, wenn sie als Selbsthilfegruppen überdauern. Man wird zum ungeliebten Beruf zurückkehren und sich in den früher gepflegten Hobbys versuchen. Durch das Ende der WM ist auch der gigantische Qualitätsschub, den ORF 1 erfuhr, zunichte gemacht. Dieser hatte sich weniger durch das eingestellt, was in den Fußball-Übertragungen zu sehen war, sondern eher durch das, was eben nicht zu sehen war.