Was vom FIFA World Cup 2006 bleiben wird, lässt sich zunächst leicht beziffern. Mehr als 20 Millionen Euro hat der veranstaltende Deutsche Fußballbund verdient, der Weltverband FIFA wird sich mit einigen hundert Millionen bescheiden. Die deutsche Wirtschaft lukriert nach neuesten Studien rund vier Milliarden Euro aus zusätzlichem Konsum während des Turniers. Und 25.000 der durch die WM entstandenen 50.000 Arbeitsplätze werden zumindest noch im nächsten Jahr bestehen. Die neu geschaffene Infrastruktur gar die nächsten Jahrzehnte.

Was noch bleiben wird? Nun, die Erinnerung an relativ unbeschwerte Sommerwochen, in denen sich die Deutschen als gute, fröhliche Gastgeber präsentiert haben. Sommerwochen, die gezeigt haben, dass Massenevents mit Konfliktpotenzial bei rechtzeitiger und richtiger Wappnung weit gehend friedlich über die Bühne gehen können - ohne martialische Machtdemonstrationen, schon gar ohne Bundeswehreinsatz. Deutschland 2006 kann ein Lehrbeispiel werden, wie von den Ordnungshütern mit Emotionen umgegangen werden soll. Von den drei großen D, die dem Sicherheitskonzept zugrunde lagen, wurden nur die ersten zwei wirklich gebraucht. Diskutieren und Deeskalieren - Durchgreifen war kaum nötig.

Die sportliche Bilanz fällt zwiespältiger aus und ist auch nicht gemeint, wenn FIFA-Präsident Joseph S. Blatter pflichtschuldig von der "besten WM-Endrunde aller Zeiten"spricht. Franz Beckenbauer, der allgegenwärtige Chef des Organisationskomitees, der 48 der 64 Spiele in den Stadien miterlebt und zum Teil miterlitten hat, gibt ihr nur die Note zwei bis drei und meint natürlich nicht die Arbeit seiner Leute.

Die Probleme haben schon lange vor dem Anpfiff am 9. Juni begonnen. Wie die Befürchtungen bezüglich Sicherheit waren auch die werbewirksam geschürten Erwartungen ins sportliche Spektakel überzogen. Stilbildendes wird vom Treffen der weltbesten Mannschaften alle vier Jahre erwartet. Gespielt wird dann allerdings meist genauso wie im Alltag, in den Meisterschaften, im Europacup - manchmal auf höherem Niveau, oft aber auf niedrigerem. Es konnte eigentlich niemanden unvorbereitet treffen, dass ergebnisorientierter Fußball und Kreativität schlecht zusammengehen.

Ausnahmespieler haben auch diese WM geprägt, aber sie waren nicht dort zu finden, wo sie erwünscht sind, wo sie erhofft werden - in der Offensive. Nicht der Brasilianer Ronaldinho, nicht der Argentinier Juan Román Riquelme, nicht der Deutsche Michael Ballack oder der Italiener Francesco Totti, ja in letzter Konsequenz noch nicht einmal der Franzose Zinédine Zidane hat dieser WM insgesamt die Richtung gewiesen. Nicht einmal ein halbes Dutzend Treffer werden zum Erringen der Torjägerkrone gereicht haben. Die spielbestimmenden Figuren standen im Tor, in der Innenverteidigung, im defensiven Mittelfeld. Und sie saßen auf der Trainerbank. Nicht nur die meisten Deutschen würden Bundestrainer Jürgen Klinsmann, stünde er zur Wahl, den Goldenen Ball für den "Most Valuable Player"dieser WM zugestehen.

Bald nach Abpfiff wird sich die FIFA in einem Kongress zu Berlin mit der Frage befassen, wie den Kreativen wieder auf die Beine geholfen, wie die Ausbeute an Toren erhöht werden kann. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch - größere Gehäuse, weniger Spieler, Adaptierung oder gleich Abschaffung der Abseitsregel, neue Beschränkungen für die Torhüter. Nichts von all dem wird kommen. Nicht einmal FIFA-Boss Blatter, der sich um die Attraktivität des Produkts sorgt, ist für radikalere Maßnahmen. Weil der Fußball auch so funktioniert, für die FIFA als Geldmaschine, für die Fans als Sorgenverdränger, als Traum, in dem jeder Anteil am Erfolg haben kann.

Auch von der EM 2008 und der WM 2010 wird Großes erwartet werden. Und man wird zufrieden sein, wenn die Turniere halbwegs so ablaufen wie der World Cup 2006. Als friedliches Fest, das der Fußball nicht gestört hat. (DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 10. Juli 2006, Kommentar, Sigi Lützow)