Premiere von Richard Wagners "Tristan und Isolde"bei den Festspielen in Erl. Dirigent und Regisseur Gustav Kuhn setzt im Passionsspielhaus auf musikalische Transparenz und straffe Strukturen, im Szenischen landet er jedoch im Reich des allzu Konventionellen.

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Erl - Von dort, wo in einem Musiktheaterhaus gemeinhin der Orchestergraben zu finden ist, hört man Stimmen kommen. Der Orchestergraben, er ist hier jener Schiffsbauch, aus dem zwei selbstzufriedene Herren an Deck gehen, ausgelassen, etwas arrogant und zweifellos stolz auf die kostbare Hochzeitsfracht, die sie ihrem König mitbringen.

Dem Geschenk, Isolde, die oben auf unausgepackten Koffern hockt, begegnen sie mit einer bissigen Höflichkeit, die an Verhöhnung grenzt. Die sensible Dame jedoch ist des exaltierten Zornes nicht mehr fähig. Als graziles Geschöpf der Romantik wirkt sie in ihrem weiten Kleid, unter dem mehr als ein Tristan Platz fände, ein wenig erschöpft; zu mehr als schmerzverzerrten, strafenden Blicken reicht es nicht. Doch es reicht, um die Atmosphäre zu vergiften - es herrscht dicke Luft an Bord, im Passionsspielhaus Erl spürt man es deutlich.

Natürlich sind die Protagonisten in diesem Ambiente extrem gefordert. Zwar wandert der Besucher in Erl, wie in Bayreuth, zu einem grünen Hügel, auf dem am Waldesrand das imposante Gebäude aus den 50er-Jahren die Festspiele von Erl beherbergt. Die szenischen Möglichkeiten jedoch sind nicht überbordend, dabei hat man hier originell den Spieß umgedreht. Das Orchester ist nicht unsichtbar wie in Bayreuth, wo es der mystische Graben verschluckt. Im Gegenteil. Die Instrumentalisten bilden hinter den Sängern eine Art orchestrale Skulptur, die regelrecht prunkvoll wirkt im Gegensatz zur szenischen Askese. Ein paar Taue, Koffer, da und dort eine Bank und ein paar Segel. Das war's.

Szenische Mängel

Daraus könnte sich sogar ein Mehrwert ergeben - als Nahverhältnis zu den Charakteren und zu den Stimmen, die nicht gegen Orchesterwogen ankämpfen müssen. Diesmal erlebt man nach gutem Beginn allerdings nur die Nähe zu Belegen, dass szenisch kaum etwas erarbeitet wurde.

Zwar leuchtet mitunter ein Beziehungskonflikt auf. Allzu oft jedoch zieht man sich zurück auf obligates Rampentheater mit zwei bis drei Routinegesten. Exemplarisch die Erstberührung von Tristan und Isolde nach dem Trankkonsum. In der Dunkelheit noch eine spannende Annäherung in Zeitlupe. Doch wie das Licht angeht, bietet sich das Bild eines putzigen Aneinanderkuschelns - als würden zwei Kinder Tristan und Isolde spielen. Isoldes prächtige Robe vollendet den Eindruck, es handle sich hier um einen Verweis auf My Fair Lady.

Bei geschlossenen Augen gewinnt die Sache allerdings. Zwar bewegt sich Alan Woodrow (als Tristan) vokal unentwegt auf sehr dünnem Eis. Sein durchaus kostbares Timbre entfaltet sich nur in der Mittellage glänzend, bei Höhen und Tiefen jedoch ist einen Abend lang für unerwünschte Spannung (fehlende, zu kurz gehaltene oder heisere Noten) gesorgt. Um ihn herum jedoch Qualität: Michaela Sburlati (als Isolde) bringt ihre melancholische Präsenz vokal profund durch den Abend. Duccio Dal Monte (als Marke), Michael Kupfer (als Kurwenal) und Monika Waeckerle (als Brangäne) bewegen sich auf hohem Niveau.

Transparenz der Strukturen

Hinter ihnen herrscht der Drang, das Vorwärtsdrängende, das Ausufernde der harmonisch-melodischen Ungeheuerlichkeit Wagners zu straffen. Die Transparenz der Strukturen bleibt dabei erhalten, fast samtig kommt die Intensität der Wagner'schen Ideen zum Tragen, doch fehlt bisweilen Elastizität, fehlt dieses lebendige Spiel mit der musikalischen Zeit. Eine gewisse Kurzatmigkeit der Phrasierung gibt dem Ganzen einen etwas strengen, uniformen Anstrich, da Dirigent, Regisseur und Festivalleiter Gustav Kuhn die Balance zwischen Innehalten und Losstürmen nur selten gelingen will. Das Ekstatische trägt hier ein zu enges Korsett.

Aber das ist womöglich Geschmackssache. In jedem Fall ist zu hoffen, dass bei Parsifal (ab 16. Juli) mehr Regie vorhanden sein wird. Immerhin hat man ja in Erl Sinn fürs Überraschende - im Vorjahr hatte man den ganzen Ring in 24 Stunden präsentiert. Wie auch immer. Ein Besuch ist zu empfehlen. Der Festivaldialog zwischen Natur und Kunst steht hier auf hohem, unverwechselbarem Niveau. (Ljubiša Tošiæ, DER STANDARD, Printausgabe vom 10.7.2006)