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Weltweit werden frühere Ausstiegsszenarien von der Atomenergie ad acta gelegt und der Ausbau der Atomenergie wieder forciert. 27 Atommeiler sind derzeit weltweit in Bau.

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Wien - Die bevorstehende Stilllegung einer Vielzahl von altersschwachen Kohlekraftwerken und der weiter steigende Energiebedarf in Europa lassen die Atomlobby auf gute Geschäfte hoffen. Länder wie Tschechien und Slowenien halten an der Atomkraftnutzung fest, in Deutschland wird ein Aufschub des vorzeitigen Ausstiegs diskutiert und Frankreich, das Land mit den meisten Atomkraftwerken in Europa (59 von mehr als 200), hat erst kürzlich eine Vertiefung der Zusammenarbeit in Atomfragen mit Großbritannien bekannt gegeben.

Im vergangenen Herbst hat der britische Premier Tony Blair von einem "fieberhaften Umdenken" gesprochen, das im Gange sei, weil sich die Welt verändert habe. Zum einen würden Öl und Gas immer teurer, zum anderen sei die Versorgung mit diesen klassischen Energieformen bedroht. Deshalb sei es notwendig, auch über den Bau neuer Kernkraftwerke nachzudenken. In Großbritannien stammt jede fünfte verbrauchte Kilowattstunde aus einem AKW. Bisher war geplant, bis auf einen alle 23 noch Strom produzierenden Meiler stillzulegen.

Ausbau tabu

Seit der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl vor 20 Jahren galt der Ausbau der Atomkraft als tabu. Als erste haben sich die Finnen darüber hinweggesetzt. Im Mai 2002 hat das Parlament in Helsinki den Weg frei gemacht für ein neues AKW. Olkiluoto III soll 2009 ans Netz.

Weltweit liegt der Atomenergieanteil an der gesamten Stromerzeugung bei etwa 16 Prozent, in der EU bei knapp einem Drittel. Der Bogen spannt sich von Ländern wie Frankreich, Litauen und Schweden mit deutlich über 80 Prozent, die Schweiz mit gut 40 Prozent und Deutschland mit 30 Prozent zu "atomkraftfreien"Ländern wie Dänemark, Italien, Portugal, Polen und Österreich.

Verzicht ein Fehler

EU-Energiekommissar Andris Piebalgs ist überzeugt, dass ein gänzlicher Verzicht auf Atomkraft ein Fehler wäre. Die Wasserkraft sei für viele Länder keine Option, da nicht ausreichend vorhanden; Kohlekraftwerke hätten den Nachteil, über entweichendes CO2das Klima zu schädigen. Erneuerbare Energien hätten zwar Potenzial, könnten aber bestenfalls einen Teil des zusätzlichen Energiebedarfs decken. Bei Öl- und Gas-befeuerten Kraftwerken komme hinzu, dass die Betreiber derselben von einigen wenigen Lieferländern abhängig seien.

Russland selbst setzt ebenfalls auf Atom. Der Anteil der Kernenergie an der Energieversorgung des Landes soll bis 2020 auf etwa 24 Prozent steigen - von derzeit rund 16 Prozent. Bereits im nächsten Jahr werde Russland mit dem Bau neuer AKWs beginnen, hat Energie- und Industrieminister Viktor Christenko erst kürzlich angekündigt. Diese sollen bis 2012 ans Netz. (Günther Strobl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2006)