Die beste Optik hat man vom Rücken einer dieser Pferde

Foto: www.fitetrec-ante-lazio.it
Auf staksigen Beinchen, noch ein wenig unbeholfen sucht das Fohlen die stillende Mutterbrust. Die Stute drängt das Kleine unwirsch fort. Sie ist keine Rabenmutter, aber die Nahrung ist knapp und sie rationiert mit gesundem Instinkt. Glühend heiß brennt die Sonne vom Juni-Himmel, das Gras im Tibertal bei Ponzano Romano, 50 km nördlich von Rom, ist spärlich geworden. Bald geht es zu frischen Weidegründen in die Berge.

Manlio Fani, der letzte "Pferdeflüsterer" Italiens, treibt seine Herde, 120 halbwilde Pferde der Maremma, ein robuste Rasse Latiums und der Toskana, von Porto Vecchio, der Ranch am Tiber, hinauf nach Santogna, ein Naturschutzreservat in den Abruzzen. Über 200 Kilometer liegen zwischen dem Tal und den grünen Hochwiesen, dem Ziel der Transumanza, des Weidegrundwechsels. Eine jahrhundertealte Hirtentradition, die der 54-jährige Manlio Fani, der aus einer Familie von Pferdezüchtern und Zureitern stammt, vor 16 Jahren zu neuem Leben erweckt hat. Nicht aus Nostalgie, sondern aus Notwendigkeit: Die Sonne verdorrt im Sommer die Wiesen im Tal, während in den Bergen frischer Weidegrund die Tiere reichlich nährt.

Doch dorthin muss man erst einmal gelangen. Manlio Fani braucht sattelsichere "butteri" - also echte Cowboys - zum Auftrieb und nimmt neben Profis auch gerne Amateure mit auf die Abenteuerreise. Die Transumanza ist eine Attraktion geworden, von Jahr zu Jahr wächst die Schar der "Ferienbutteri", obgleich der siebentägige Ritt kein vergnügliches Cowboyspiel ist. Angefangen bei den Aufstehzeiten, die nichts für Langschläfer sind. Abritt ist bei Morgengrauen, um die kühlen Stunden des Tages zu nutzen, was so manchem buttero gerade am ersten Tag, nach dem rauschenden Fest, mit dem traditionsgemäß in Porto Vecchio der Auftrieb gefeiert wird, nicht leicht fallen wird.

Ohne Gefahrenzulage

Nachdem man mühevoll den Weg aus dem Zelt hinaus in den Sattel gefunden hat, gilt es, das Reittier und die Herde heil durch das ausgetrocknete Flussbett des Aia nach Montasola, einem Dörfchen in den Sabiner Bergen, zu bringen. Der mit Geröll, Schlamm aber auch "entsorgtem" Müll gefüllte Flusslauf ist ein Präludium der Schwierigkeiten, die der Hobbycowboy zu bewältigen haben wird. Wildbäche, Schluchten und Bergkämme müssen gemeistert werden, auch erschwert die zunehmende Zivilisation - Autobahnen, Zuggleise, Fabriken - die Route durch die einst unberührte Natur.

Fani hat viele der alten "tratturi", der Weidewechselpfade, wieder begehbar gemacht. Nicht immer halten sich die Tiere jedoch an Manlios Wegangaben, vor allem, wenn seitlich des Pfads Korn- und Weizenfelder verlockend winken. Der Neuling lernt, Flanken und Nachhut zu bilden, Ausbüchser und "verlorene Schäfchen" aus Wiesen, Feldern und Olivenhainen zur Herde zurückzubringen.

Willkommen ist die Mittagsrast, die am ersten Tag in S. Maria in Vescovio gehalten wird, eine mittelalterliche Bischofskirche, die sich auf den Ruinen des Forums einer alten Römersiedlung erhebt. Dankbar nimmt man den Teller Pasta und das Glas kühlen Weines entgegen, denn ein bisschen Komfort erlaubt auch der raue Pferdeflüsterer Fani: Ein Helfertrupp fährt im Jeep voran und kümmert sich nebst Proviant auch um den Auf- und Abbau der Zelte im nächtlichen Camp der butteri.

Wild romantisch ist der Ritt am Tag darauf durch den dichten Eichenwald bis nach Cottigliano, doch hat die Schönheit Tücken. Einige Stellen können die Pferde nur im Gänsemarsch passieren und jeder Huftritt daneben könnte fatale Folgen haben, was natürlich auch für die Reittiere der Treiber gilt. Dagegen mutet der Weg durch das Naturschutzgebiet der Seen Ripa und Sottile in der "Conca Reatina", der Ebene von Rieti, am folgenden Tag wie eine Erholung an.

Nicht ganz vogelfrei

Im Schilf nisten Fischreiher und Rothalstaucher, und man kann nachvollziehen, dass nicht unweit, im Kloster von Greccio, der heilige Franziskus seine berühmte Vogelpredigt hielt. Auf dem Weg nach Morro Reatino passiert der Treck den Berg Monte Fausola und zieht an einer jahrhundertealten Buche vorüber. Die Legende will, dass der Baum seine breit gefächerte, seltsam wellenartige Form in einer Nacht annahm, als der heilige Franziskus während eines Unwetters unter seinen Ästen Schutz suchte.

Das Mittelalter wird im Bergdorf Leonessa - der Löwin - wieder lebendig. Durch das gotische Stadttor Porta Spoletina betritt man die engen Gassen, die von Laubengängen und Kirchen gesäumt sind. Auf dem Hauptplatz, dem Piazza del Municipio, findet das Dorffest zu Ehren der Transumanza statt: Hier hat der buttero Gelegenheit, eine Spezialität der Monti Reatini zu kosten: Trüffeln mit hausgemachten Eiernudeln.

Die letzte Etappe führt durch das grüne, schattige Tal des Wildbaches Carpineto. Manlio Fani schaut beunruhigt. Zahlreich sind die Spuren jener Tiere zu sehen, die das labende Ziel der Transumanza in eine gefährliche Falle verwandeln: die Wölfe. Sie stehen unter Naturschutz und haben sich in den letzten Jahren extrem vermehrt. Vor allem für die unerfahrenen Fohlen stellen sie eine große Gefahr dar. Manlio Fani muss die Natur - und die Naturschutzgesetze - walten lassen.

Nach einer Woche "halbwilden" Lebens in der Natur fällt die Rückkehr in die Zivilisation nicht leicht. Doch sechs Monate später, Ende November, braucht Manlio Fani wieder mutige Reiter, um die Herde, bevor der Winter einbricht, ins Tal zurückbringen. (Eva Clausen, Der Standard, Printausgabe 8./9.7.2006)