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Barockes Rüschenmodell von Nicolas Ghesquière

Foto: Archiv

"Es hat sechs Jahre gedauert, bis ich es wagte, einen Blick in die Archive von Balenciaga zu werfen", sagte kürzlich Nicolas Ghesquière, der seit knapp zehn Jahren die Prêt-à-porter für das einstige Couture-Haus entwirft. Dass dies seinen Entwürfen entschieden gut tue, weil es ihnen eine nuancenreichere, moderne Eleganz vermittle, stellte schon im vergangenem Jahr Modepäpstin Suzy Menkes in der International Herald Tribune fest und feierte seine Entwürfe für die vergangene Herbst/Winter-Saison als Jahrhundertkollektion. Die Fotos mit den schlanken, kamelfarbenen Duffle-Jacken, mit den silbernen Chromverschlüssen und den dicken Griesfuchs-Besätzen an Hals, Manschetten und Vorderkanten gingen um die Welt und werden auch im kommenden Herbst noch einmal auftauchen.

Überraschende Karriere

Damit steht der gut aussehende, dunkelhaarige Designer auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Sie wird noch zusätzlich durch die große Balenciaga-Retrospektive im Pariser Modemuseum gekrönt. Dabei hat die Laufbahn des kleinen Nicolas alles andere als glanzvoll begonnen. 1971 in einem Vorort von Lille geboren, wuchs er in Loudun auf, einem Tausend-Seelen-Nest in der französischen Provinz. "Trotzdem empfand ich meine Kindheit als privilegiert", meint er heute, "was an der historischen Architektur der Gebäude und an all den schönen alten Häusern lag."

Noch mehr interessierten ihn aber die bunten Bilder in den Zeitschriften seiner Mutter, die von den Pariser Modeschauen berichteten. "Ich bin ein Kind der Achtzigerjahre, ich schwärmte für ,Star Wars' und die Disco-Queen Grace Jones." 1989, direkt nach der Matura, ging Ghesquière nach Paris - und klopfte so lange an der Türe von Jean-Paul Gaultier an, dem Helden seiner Modeträume, bis er den Job eines Assistenten von dessen Assistenten erhielt. Er lernte, was er heute die "Ästhetik des Mixens" nennt, das kunstvolle Zusammenfügen von Dingen, die eigentlich gar nicht zueinanderpassen.

Strickpullover im Freelancing

Nach zwei Jahren ging er weg und entwarf als "Freelancer" Strickpullover für Thierry Mugler, Schuhe für Stéphane Kélian, Ledermode für Trussardi und Lizenzkollektionen für Balenciaga. 1995 bot man ihm dort eine feste Stellung an. Er sollte Golfmode und Witwenkleider für Japan kreieren.

Als man sich 1997 bei Balenciaga mit Melchior Josephus Thimister überwarf, dem Designer für die Prêt-à-porter-Kollektion, fragte man überraschenderweise Ghesquière, ob er sich dessen Job zutraue. Er war nur als Übergangslösung gedacht, sein Vertrag auf sechs Monate befristet. Denn der damalige Eigentümer Jacques Konckier, dem die Parfumfirma Jacques Bogart gehörte und der 2001 das Haus Balenciaga an die Gucci-Gruppe verkaufte, hatte eigentlich Helmut Lang im Visier. Dass dieser aber lieber nach New York ging, war zuletzt Nicolas Ghesquières Glück.

Kulthosen zu High-Heels

Denn mit Lang außer Sichtweite war die Position des "Designers of Cool" verwaist. Wer sollte nun die Pariser Chic-et-branché-Szene mit neuen Entwürfen versorgen? Ghesquières perfekt geschnittene schmale Hosen, die mit hochhackigen Schuhen die längsten Beine der Welt zauberten, wurden auf Anhieb Kult. Er beflügelte das Comeback der Achtzigerjahre mit Jacken und Pullovern, deren Schultern Fransen und Waschbärschwänze betonten. Im Herbst/Winter 2001 zollte er Jules Verne als Sciencefictionschriftsteller mit Workwear-Anzügen Tribut, deren Fronten Pattentaschen wie Maschinenoberflächen unterteilten. Im Sommer 2002 zeigte er Cargohosen aus gewaschener Seide mit Patchwork-Leibchen zu High-Heels-Sandaletten, von denen sich die Mode bis heute noch nicht erholt hat. Und er kombinierte Unterwasserbilder auf Stretchshirts zu minikurzen Pepitaröcken, ein Einfall, der dem Surfer-Kult die Mode öffnen sollte.

Neueste Ideen aus Archiven

Für diesen Sommer erweist er schließlich Ludwig XVI. und Sofia Coppollas Film "Marie Antoinette" seine Reverenz mit üppigst geschmückten Rüschenblusen zu taillenbetonten Jacken mit Serviettenvolants als Rockschößen. Und für den kommenden Herbst und Winter ließ er sich von den hauseigenen Archiven zu minikurzen Sixties-Tailleurs mit runden Bogenschultern an den Jacken und dicken Glockenfalten auf der Rockfront inspirieren. Hohe gerundete Hüte, den Helmen Londoner Polizisten ähnlich, und Kothurne mit dicken Plateausohlen und hohen Absätzen ließen sie wie textile Skulpturen erscheinen.

"Obwohl Balenciaga seit dreißig Jahren tot ist", meint Nicolas Ghesquière dazu, "umgibt seine Entwürfe bis heute eine Klarheit, die sie noch immer erstaunlich zeitlos erscheinen lässt."

Balenciaga gibt es in Österreich bei Song in der Landskrongasse 2 (Damen) und bei Partner M.H, in der Seilergasse 6 (Herren), jeweils in 1010 Wien. (Peter Bäldle/Der Standard/rondo/07/07/2006)