Vor der Wahl sei der falsche Zeitpunkt für eine solche Auseinandersetzung, heißt es. Nach der Wahl ginge aber wohl erst recht nichts. Nachdem uns der ÖGB demonstriert hat, wie man ein großes Vermögen unbemerkt auf null reduzieren kann, setzt nun die FSG dazu an, auch noch vorzuführen, wie eine optimale Stimmenminimierung bei demokratischen Wahlen aussieht.

Die einzige taktische Meisterleistung, die der FSG-Führung in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, besteht darin, den kleinen Betriebsräten (laut Postgewerkschafter Fritz ohnedies ohne Überblick) einzureden, dass sie gemeint sind, wenn seitens der SPÖ keine Spitzenfunktionäre mehr ins Parlament entsandt werden sollen. Es ist der FSG- Führung gelungen, die kleinen Funktionäre und die mitbestimmungsfreien Mitglieder in Geiselhaft zu nehmen. Auch die Aktion zeichensetzen.at kam bisher nur auf knapp 6000 Unterschriften. Beides verwundert nicht: Die Mitglieder wurden über Jahrzehnte systematisch von jeder Mitbestimmung fern gehalten.

So gut wie jeder Skandal, den die SPÖ auszubaden hatte, kam aus den Reihen der FSG: Sekanina, Braun, Konsum, Rechberger & Co., Bawag. Dazu kommt, dass die FSG seit Jahrzehnten alle wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen verschlafen oder gar bekämpft hat. Man denke nur an die Umweltbewegung oder daran, dass die FSG fast geschlossen gegen jenen Bruno Kreisky als Parteiführer war, der vier Jahre später die SPÖ erstmals zur Kanzlerpartei machte.

Als jemand, der selbst viele Jahre als Betriebsrats-Vorsitzender eines Mittelbetriebes in der GPA tätig war, weiß man um das geringe Erneuerungspotenzial der Gewerkschaftsführung. Ein ÖGB- Chef, der nicht einmal nach der Höhe der angelaufenen Verluste der eigenen Bank fragt; ein Präsidium, das alles ohne Nachfrage abnickt; ein Stellvertreter, der Unterschriften leistet, ohne zu wissen, was er unterschreibt; ein Vorstand (rund 80 Mitglieder!), der lieber keine Details wissen will. Das sind die Leute, die es ins Parlament drängt. Man nenne nur ein einziges Unternehmen auf der Welt, in dem es möglich wäre, dass Leute, die das gesamte Betriebsvermögen verspielt haben, selbst die Reorganisation des Unternehmens durchführen dürfen.

Akt der Notwehr

Es ist Notwehr, wenn Gusenbauer in dieser Situation die Reißleine zieht.

Wer hätte denn garantiert, dass Kollege Hundstorfer wirklich freiwillig auf ein Mandat verzichtet? Vor der Wahl ist der falsche Zeitpunkt, für eine solche Auseinandersetzung? Nach der Wahl ginge erst recht nichts.

Gusenbauer hat das einzige, winzig kleine Zeitfenster genutzt, um endlich umzusetzen, was Politologen, Leitartikler und diverse sonstige Politikbeobachter in Österreich seit vielen Jahren fordern: Entflechtung der Spitzenfunktionen. Damit hat er sich – auch wenn das momentan niemand zugibt – unschätzbare Verdienste erworben. Zukünftige SP-Vorsitzende werden es ihm zu danken wissen.

In der Zwischenzeit sollten die einfachen Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte darüber nachdenken, wofür sie sich die Hacken ablaufen wollen: für die Abwahl einer unsäglichen Bundesregierung oder für die Privilegien einer ebenso unsäglichen FSG-Führung. Denn katharsisresistent wie diese Führung ist, wird die ÖGB-Reform nur eines bringen: ein paar Retuschen in einem weiterhin dem unaufgeklärten Absolutismus frönenden ÖGB.

Schon 1985 schrieb ich im profil: "Anstatt den Mitgliedern mehr direkte Rechte einzuräumen, werden großartige Mitgliederbefragungen gestartet, deren Ergebnisse postwendend in irgendwelchen Schubladen verschwinden, da eine Umsetzung der Ergebnisse die eigenen Machtpositionen gefährden würde. Es ist zu fragen, ob dieser Hort selbstgefällig in sich ruhender Stabili 4. Spalte tät nicht irgendwann zu einem Unruheherd erster Ordnung wird." Dem ist weiterhin nichts hinzuzufügen. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.7.2006)