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Angela Merkel, Kurt Beck und Edmund Stoiber nach langen verhandlungen am Montag morgen bei der Pressekonferenz.

Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay
Im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft werden in Deutschland die nächsten Reformen angepackt. Während die Krankenversicherung teurer wird, können Unternehmer mit Entlastungen rechnen.

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Die Hoffnung liegt auch am Dienstag wieder auf der National-elf. Wenn die Spieler von Nationaltrainer Jürgen Klinsmann am Abend in Dortmund einlaufen und gegen Italien um den Einzug ins Finale kämpfen, dann fiebern wieder Millionen Deutsche mit, pfeifen, schreien, toben - weil diese Party einfach weitergehen muss. Doch Guido Westerwelle, Vorsitzender der FDP, gab sich schon am Montag als Realist und klagte: "Das wird ein teures Erwachen nach der Weltmeisterschaft."

Denn im Schatten der WM hat das Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel hurtig allerhand Beschlüsse gefasst, die letzten im Morgengrauen des Montags - und der Zeitpunkt sagt bereits einiges über deren Inhalte: Es wird in den kommenden Jahren teuer für die Deutschen. Auch für jene Frischzellenkur, die sich die große Koalition für das Gesundheitswesen ausgedacht hat, müssen alle Bürger bluten (siehe Bericht unten).

Steuererhöhungen

Eigentlich waren beide großen Parteien vorigen Sommer mit schönen Versprechungen in den Wahlkampf gegangen. Keine neuen Steuern, Senkung der Lohnnebenkosten lautete das Motto. Doch die budgetäre Not in Deutschland ist so groß, dass nach Meinung Merkels tiefe Einschnitte nötig sind. Noch einmal macht Deutschland dieses Jahr immens hohe, neue Schulden (38,5 Milliarden Euro) und verstößt damit wahrscheinlich zum fünften Mal gegen die Kriterien des EU-Stabilitätspaktes.

Da die Neuverschuldung höher ist als die Investitionen, ist der Etat auch nicht verfassungskonform. Doch Berlin beruft sich wieder einmal auf eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts".

Doch 2007 soll alles anders und besser werden. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) möchte nur noch Kredite für 22 Milliarden Euro aufnehmen. Die Lücke zwischen Etat 2006 und 2007 stopfen die Bürger, was bei Merkel so klingt: "Die reale Haushaltssituation ist nicht einfach."

Für die Bürger bedeutet das konkret: Bereits vom Bundesrat beschlossen und damit unabwendbar ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Auf den Weg hat die Koalition auch die so genannte Reichensteuer gebracht: Wer mehr als 250.000 Euro verdient, muss ab kommendem Jahr 45 statt wie bisher 42 Prozent Einkommensteuer bezahlen.

Steuerbegünstigungen

Für Verheiratete gilt die Grenze ab 500.000 Euro. Ebenfalls zur Kasse gebeten werden Pendler, Sparer und Familien mit älteren Kindern, die sich noch in Ausbildung befinden. Ihnen allen streicht die Koalition die steuerlichen Begünstigungen.

Des Weiteren steht 2007 eine Erhöhung des Pensionsbeitrages von 0,4 Prozent an. Und nun, der letzte schwarz-rote Coup: Auch die Gesundheitsversorgung wird teurer, die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen steigen um 0,5 Prozent, der Faktor Arbeit wird um rund fünf Mrd. Euro belastet. "Das ist der Merkel-Murks: Steuern und Beiträge rauf", kritisiert die grüne Fraktionschefin Renate Künast.

Doch auch in der Regierungspartei SPD knirscht es. Viele Abgeordnete erklären, sie hätten Schwierigkeiten, den Leuten in ihren Wahlkreisen zu erklären, dass auf die Bürger immer neue Belastungen zukommen, die Unternehmen jedoch entlastet werden. In der Union wird kritisiert, dass Merkel so viele Kompromisse akzeptiere, nur um des lieben Friedens willen.

Steuergeschenke

Doch die Gewerkschaften sind wütend. Tenor der Kritik: Es habe sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Unternehmen auf Steuergeschenke mit neuen Entlassungen reagiert haben, und nicht mit den erhofften Einstellungen. (Birgit Baumann/DER STANDARD, Prinausgabe, 4. Juli 2006)